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Dampfende Teller im Eistunnel


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Finnisch-Lappland hält im Winter eine Fülle frostiger Erlebnisse bereit: Schneemobiltouren, Huskysafaris, Rentierschlittenfahrten und Drinks in Gläsern aus Eis. Zur Abrundung der Zitterpartie kann man auf einem Bett aus Eisblöcken übernachten.

Die Erlösung naht in Gestalt von Kellnern. Wie eine Schar rettender Engel schweben sie mit dampfenden Tellern durch den Eistunnel herein. Endlich warme Nahrung, um den werwolfhungrigen Magen und die klappernden Zähne zu besänftigen, nachdem wir stundenlang mit dem Schneemobil durch menschenleere Weiten und unmenschliche Kälte geknattert sind. Doch oh Schreck, oh Graus – das Essen ist gerade einmal lauwarm.

In jeder anderen gastronomischen Einrichtung würde man sich jetzt wahrscheinlich beschweren. Nur hier, im Restaurant des Snow Village bei Ylläs in Finnisch-Lappland, erscheint das nicht ganz angemessen. Alles in dem Saal ist aus Eis: die Decke und Wände, die Bar, die Tische und Bänke. Die Temperatur bewegt sich im Minusbereich, in Windeseile verwandeln sich die Speisen in Tiefkühlkost. Auch der Rotwein erreicht alsbald den Zustand der totalen Geschmacklosigkeit, selbst Kenner könnten Tetrapackfusel jetzt nicht von einem Premier-Cru-Bordeaux unterscheiden.

Doch Haute cuisine ist sowieso nicht das Thema in dieser coolen Location. Wir tragen unförmige Thermoanzüge, Mützen und Handschuhe statt eleganter Abendgarderobe. Das Hantieren mit Messer und Gabel sieht mit den Fäustlingen ziemlich linkisch aus. Nach dem „Arctic Dinner“ lockt eine „Igloo Disco“ in bunt illuminierten Gewölben aus Schnee und Eis. Warmtanzen, oh ja! Jedoch der Cool Down folgt sofort: Die Drinks werden in Gläsern aus Eis an Stehtischen aus Eis serviert.

Zur Krönung der Zitterpartie könnten wir uns nach der Party in einem Schlafsack auf einem Bett aus Eis einrollen. Doch wir verzichten auf diese – ganz gewiss unvergessliche – Erfahrung und kehren in unser kuscheliges Hotel im Wintersportzentrum Levi zurück, dem Ausgangspunkt für eine Fülle eiskalter Abenteuer und Aktivitäten unweit des Polarkreises.

Eishotel
Suite im Snow Village bei Ylläs

In diesem Winter bestreitet das Snow Village, das zu den touristischen Highlights hoch droben in Finnland zählt, seine zwölfte Saison. Mehr als tausend Lkw-Ladungen Schnee und 300.000 Kilo Eis werden jedes Jahr in dem vergänglichen Kunstwerk verbaut. Neben 30 Zimmern und Suiten, dekoriert mit Ornamenten und Skulpturen, entstehen eine Lobby, ein Restaurant, eine Bar und eine Kapelle mit Eisaltar für Heiratswillige. Zarte Brautmode sollte man natürlich besser zu Hause lassen.

Verglichen mit draußen ist es in dem Schneehotel aber geradezu mollig. An diesem Januarmorgen zeigt das Thermometer minus 32 Grad und die Sonne nicht mal ein schüchternes Blinzeln. So hell die lappländischen Sommernächte sind, so dunkel bleiben die Tage im Winter. Gegen Mittag scheint sich der bläulich-graue Mantel der Dämmerung zu heben, doch schon kurz darauf ist wieder Düsternis – mit Bäumen wie Gespenster, Wäldern wie schwarze Schlünde und unberührten Schneefeldern wie Meere der Melancholie. Die Blockhütten dazwischen sehen mit ihrem warmen Lichtschein wie der trostreichste Zufluchtsort auf Erden aus.

Abseits der Hauptstraßen kommt man in der Schneewüste Finnisch-Lapplands mit dem Auto nicht weit. Also umsteigen. Wir probieren zunächst das Fortbewegungsmittel Rudolf. Gemächlich zockelt das Rentier durch den Tannenwald. Rudolf hat es nicht eilig, denn der Weg führt noch nicht zurück in Richtung Futterkrippe und Herde. Nach Rudolfs Berechnung wird es aber nicht mehr lange dauern, bis der Schlitten zur Kehrtwende ansetzt. Die Insassen – Touristen aus wärmeren Gefilden, die das ultimative Wintererlebnis suchen – fangen meist schnell das Bibbern an.

Im Gegensatz zu Rudolf, der sich durch tiefe Schneefurchen arbeitet, haben wir auch nichts zu tun, außer locker die Zügel zu halten, den Ausblick auf das mystische Winterwunderland zu genießen und mit den Zehen gegen das drohende Taubheitsgefühl anzuwackeln. Im lappländischen Mobilitäts-Check schneidet Rudolf mittelprächtig ab. Der Vorteil: Rentierschlittenfahrten sind sehr entspannend und haben eine romantische Komponente. Der Nachteil: Man fröstelt bereits nach wenigen Minuten und kommt kaum voran.

Alternativ lässt sich die Umgebung von Levi mit dem Motorschlitten erkunden. Der Pluspunkt: Man schafft Strecke und meistert auch Anhöhen locker. Auf der Negativ-Seite sind zu notieren, dass der Motorlärm jegliches Eins-sein-mit-der-Natur-Gefühl zerstört und man durch den Fahrtwind schon nach wenigen Kilometern schockgefrostet ist – trotz Drei-Schichten-Vermummung bis auf einen Sehschlitz. Danach ist eine ausgedehnte Sauna-Sitzung unbedingt empfehlenswert, ein Essen im Eishotel dagegen weniger.

Vermummung
Schockgefrostet trotz Vermummung: die reisekorrespondentin auf einer Schneemobiltour
Fotos: pa, © np (1)

Als nächstes testen wir ein traditionelles Transportmittel, den Husky-Schlitten. Noch bevor wir die Tiere sehen können, hören wir sie. Durch den Wald dringt ein ohrenbetäubendes Kläffen und steinerweichendes Jaulen aus unzähligen Hundekehlen. Außer Rand und Band zerren die Huskys an den Leinen, sie wollen Auslauf, sie wollen rennen! Jedes Gespann zählt acht Hundestärken, je zwei nebeneinander, ein Power-Paket mit 16 unternehmungslustig funkelnden Augen. Diese Geschosse zu bändigen wird – nun ja – kein Spaziergang.

Nach kurzer Instruktion beginnt das Rennen: Festkrallen und das Gleichgewicht bewahren. Das geht auch erst mal gut. Bis die erste Abzweigung kommt. Die Meute behält das Tempo bei, der Schlitten gerät ins Wanken, mit dem Körpergewicht gegensteuern, Manöver gelungen, juchhe! Weiter geht’s aufs freie Feld. Der Schlitten saust dahin, herrlich! Dann die nächste scharfe Biegung in den Wald, voll auf die Eisen steigen, doch die Hunde wollen den kürzesten Weg nehmen – und nehmen ihn. Das geht noch einmal gut, bis irgendwann der Schlitten mit dem Vorderschlitten kollidiert – und schwupp die wupp verheddert sich das Gespann zu einem bellenden, heulenden Knäuel mit 32 Beinen. Die Mobilitäts-Check-Bilanz: Eine Husky-Safari ist aufregend, aber anstrengend.

Bleibt noch die Fortbewegung per pedes: eine Expedition mit Schneeschuhen. Mit den breiten Untersätzen können wir über Schneedecken wandeln wie Jesus übers Wasser. Oder jedenfalls fast. Leise eintauchen in den Traum aus Weiß. Zwischen die Tannen mit Puderzuckerschnee. In diese eine, besondere Ruhe, die entsteht, wenn der Schnee alle Geräusche dämpft.

Und weil wir beim Stapfen manchmal doch einbrechen, wird uns sogar warm! Mit geröteten Wangen kehren wir zu unserer dick verschneiten Hütte zurück, die aussieht, als hätte ein Konditor verschwenderisch Sahneberge darauf geklatscht. Ab in die Sauna und danach am Kamin bei einem heißen Getränk plauschen. Mit den Gästen des Eishotels möchte man jetzt nicht tauschen.

EXPEDITION INS EIS
Snow Village: www.snowvillage.fi
Wintersportzentrum Levi: www.levi.fi
Das Fremdenverkehrsamt von Finnland informiert unter www.visitfinland.com.