Sowjeterbe, orientalische Kultur und Aufbruch: Eine Zugfahrt durch Usbekistan entlang der legendären Seidenstraße führt zu kolossalen Koranschulen, sozialistischer Betontristesse, touristischen Basaren und einer porentiefen Abreibung im Hamam.
Muamera trägt einen Handtuchturban und sonst nichts. Die Hamam-Dame ist ein kompaktes Kraftpaket, das mit ihrem Opfer nicht gerade zimperlich umgeht. Einseifen, schrubben, spülen und noch einmal von vorne. Hoch die Arme, drehen, beugen, strecken: Der Dreck muss weg. Und wieder einen Eimer Wasser über den Kopf. Der Schaum mit Rosenduft beißt in den Augen. Ein Besuch im usbekischen Dampfbad ist keine Wellness-Auszeit für gestresste Mütter oder Managerinnen. Hier reinigen sich die Usbekinnen, die in ihren eigenen vier Wänden kein Abwassersystem haben.
Auf unserer Zugreise durch Usbekistan haben wir in Buchara Station gemacht, der drittgrößten Stadt des Landes in Zentralasien. Irgendwo in einer der namenlosen Altstadtgassen sind wir in das schummrige Hamam-Gewölbe aus dem 16. Jahrhundert hinabgestiegen. Die Badeanstalt für Frauen gehörte früher dem letzten Emir Said Olim-Chan. Um die schönsten Weiber für seinen Harem auszuspähen, hatte er ein Loch in die Kuppel klopfen lassen.
Seitdem ist fast ein Jahrhundert vergegangen, aber die Ausstattung rustikal geblieben: blanker Stein, spärliche Beleuchtung, zwei Wasserhähne, das einzige Klo eine Rinne mit zwei Brettern für die Füße. Muamera setzt die porentiefe Abreibung mit gnadenloser Gewissenhaftigkeit fort, überschüttet die Touristin abwechselnd mit Wassergüssen und Schmeicheleien: „Du Strahlende, du Goldene, du Sonne.“ Schließlich darf die gescheuerte Kreatur auf ein buntes Lager aus Teppichen und Kissen sinken, eine Massage genießen, Nüsse kabbern und grünen Tee nippen.
In das Frauen-Hamam verirren sich nicht viele Buchara-Besucher. Die meisten kommen in die Unesco-Welterbe-Stadt an der „sagenumwobenen Seidenstraße“, um die mehr als 150 Monumente zu sehen. Moscheen mit glänzenden, türkisen Kuppeln, gertenschlanke Minarette und Koranschulen mit Portalen wie überdimensionale Grabsteine, über und über verziert mit feinster Ornamentik in perfekter Symmetrie. Vor einigen Medresen stehen Baugerüste, um aufzufüllen, was der Zahn der Zeit ausgefressen hat. Die meisten Denkmäler sind aber schon in tadellosem Zustand.

Doch wo anfangen in dem Sightseeing-Schlaraffenland? In einer der Koranschulen. Der Schulvorsteher schwärmt von einem guten Jahrgang. „Sechs Absolventen kennen alle Seiten des Korans auswendig“, behauptet er und tippt auf seine Kappe, die mit einer stilisierten Pfefferschote bestickt ist: „Unsere Männer sind scharfsinnig.“ Viele Koranschulen haben die Sowjetzeit nicht überlebt. Heute sind landesweit nur noch zehn Lehrstätten in Betrieb. Auch verschleierte Gesichter sind auf den Straßen von Usbekistan selten geworden, und kein Muezzin ruft zum Gebet.
Stattdessen blüht in den Medresen der Handel mit Souvenirs und Kunsthandwerk. Vielerorts wurden die Zellen der Studenten zu Ateliers und Ausstellungsräumen umfunktioniert. Wir sehen Künstler, die mit verblüffender Fingerfertigkeit auf Seidenpapier malen und verschnörkelte Buchständer aus einem Stück schnitzen. Wir begegnen Verkäuferinnen, die mit federleichten Seidenschals um uns herumsprengen wie Toreras um Stiere. In Windeseile rollen sie handgeknüpfte Teppiche ein und aus, um uns für die Muster und Farben zu begeistern. Ein Dreimeterteppich kostet umgerechnet 900 Euro, ein Seidenschal sechs Euro – auf breiter Verhandlungsbasis.

Alles ist sehr ordentlich und dekorativ in den orientalischen Shopping-Arealen. Genauso in den ehemaligen Handelsgewölben. An einem Stand zupft, bläst und schlägt ein Musiker eine Reihe von exotischen Instrumenten wie die Doira, eine Trommel mit kleinen Metallringen und Ledermembran. Vor 500 Jahren muss es in den Gewölben nach Kameldung gerochen haben, als täglich Karawanen vorbeizogen – mit Seide und Papier aus China sowie Wein und buntem Glas aus dem Abendland. Die Oasenstadt Buchara zählte zu den Knotenpunkten an den fein verästelten Handelswegen der Seidenstraße.

Am Altstadtplatz Labi-Hauz, einem von Bars umringten Bassin, unterhalten sich sonnenbebrillte Touristen mit Frauen in Trachten. Neben Englisch und Russisch wird auch viel pantomimisch gesprochen. Hodscha Nasreddin, der orientalische Till Eulenspiegel, hat von seinem Esel einen guten Blick auf das Treiben am Labi-Hauz. Im Schatten knorriger Maulbeerbäume stecken alte Männer ihre Köpfe überm Dominospiel zusammen, Jungvolk süffelt Bier aus Krügen. Kinder üben Fahrradkunststücke und scharwenzeln um die Touristen herum. Kein Müll, nirgendwo. Buchara scheint das Rothenburg ob der Tauber von Usbekistan zu sein. Ein Tausendundeine-Nacht-Märchen live und in Farbe.

Doch sogleich wird man die Gegenwart zurückgeholt. „Madame, einen Kugelschreiber für meine Sammlung“, bittet ein Junge in einem Sprachen-Cocktail aus Englisch, Französisch und Deutsch. Die erbeuteten Stifte klemmen an seinem Shirt wie ein Collier aus Raubtierzähnen. Eine neue Trophäe wird mit einem Lächeln quittiert – so charmant-routiniert, wie man es aus anderen Touristenorten kennt. Usbekistan ist touristisch längst nicht mehr unbeleckt. Das zentralasiatische Land verfügt über reichlich Bodenschätze wie Gas und Gold, fördert aber seit einigen Jahren auch den Fremdenverkehr. Im Marketing-Mittelpunkt steht dabei der Seidenstraße-Mythos. Das Übernachtungsangebot reicht von internationalen Hotelketten bis zu Gästebetten im Wohnzimmer usbekischer Familien.
Eine andere Möglichkeit ist die Reise mit Zügen, die über Schlafwagen verfügen. So wie unser Sonderzug namens „Registan“. Diese Fortbewegung hat auch den Vorteil, dass man sich die schlaglochreichen Überlandstraßen ersparen kann. Mit 60 Stundenkilometern ruckeln wir durchs Land. Vorne im Zug befindet sich das Abteil von Zugchef Evgenij Kudraschow. Ein Stuhl, ein Stockbett und ein Tischchen mit Funkgeräten – sein Reich auf der 4.634 Kilometer langen Fahrt des Registans von Kasachstan über Usbekistan nach Turkmenistan.
Kudraschow hat sich ausgerechnet: Auf seinem Schienenkonto stehen schon 2,4 Millionen Kilometer, das entspricht 60 Äquatorumrundungen. Der Russe, ein groß gewachsener Mann mit grauen Haaren und wachen Augen hinter dem Monsterbrillengestell, dirigiert seit über 20 Jahren Züge durch Europa und Zentralasien. Gegen die Langeweile löst er am liebsten Kreuzworträtsel. An den Grenzübergängen hat der Zugchef jedoch reichlich zu tun – mit dem Einsammeln der Pässe und Ausfüllen von Zollerklärungen. Je nach Laune der Beamten könne das bis zu zwei Stunden dauern. Leibesvisiten kämen allerdings sehr selten vor. „Wir transportieren schließlich Urlauber, keine Kriminellen“, sagt Kudraschow.

Aus der Bordküche, die kaum größer als eine Besenkammer ist, dringen Hitzeschwaden, Suppengeruch und das Geklapper von Töpfen und Pfannen. Der Koch wirbelt wie ein Wüstenwind, Menüs für 90 Speisewagenplätze werden hier kredenzt. Im Speisewagen ist von der Hektik nichts zu spüren. Livrierte Kellner schweben mit Lachsröllchen, Kaviarhäppchen und Süppchen herein, als wären die Speisen vom Himmel gefallen. Nur beim Wodka-Ausschank verfehlt der Strahl manchmal das Gläschen. Bei dem Zuggeruckel aber auch kein Wunder.
Zu den Schlafwagen geht es immer den Gang herunter. Schwankt der Zug oder man selbst oder beides? Nach der Wodka-Probe ist man sich da nicht mehr so sicher. Das Abteil der Aladin-Kategorie ist mit rotem Samt und Messing auf Nostalgie getrimmt. Die Kissen sind weich, die Matratze ist bequem, der Schlaf dennoch leicht: Es ruckelt und zuckelt, quietscht und ächzt, klackert und tackert im Zug- und Schienengefüge.
Tagsüber ziehen Ziegenherden und die rotbraune Kisilkum-Wüste vor den Zugfenstern vorbei. Eselskarren zeichnen Staubwölkchen in die platte Weite, Baumwollfelder wechseln mit Fabrikruinen. Die sowjetische Planwirtschaft wollte jährlich vier Millionen Tonnen Rohbaumwolle von Usbekistan. Das nötige Wasser für den Baumwollanbau – über die Hälfte der usbekischen Landesfläche ist Wüste – wird dem Aralsee abgezogen. Mit ökologisch katastrophalen Konsequenzen: Der Binnensee verdurstet.

Ein Störer des Seidenstraßen-Flairs ist auch die Hauptstadt Taschkent, in der unsere Reise begonnen hat und enden wird. 1966 wurde die Metropole von einem Erdbeben zerstört, seitdem dominieren sowjetische Architektur-Tristesse und blutarme Glasbauten neueren Datums. Das Tashkent Palace Hotel hat den Erdstößen standgehalten und gilt nun als ältestes Hotel der Stadt. Die Fassade ist makellos, doch das Interieur etwas miefig. Gegenüber steht die Oper im Stalin-Stil mit Fontänenspiel in Form von Baumwollkapseln.

Taschkent, das sind 2,4 Millionen Einwohner und mehr als 100 Nationalitäten. Wir kehren am Abend in einer Jurte ein, in der man auf Kasachstan-Art speisen kann. Anders als der nördliche Nachbar waren die Usbeken kein Nomadenvolk, sondern sesshaft, zunächst in Lehmhütten. Bis heute sei die Nation nicht besonders reisefreudig, sagt unsere Reiseleiterin Feruza (Name geändert). „Usbeken brechen nur aus zwei Gründen auf: um Verwandte oder Pilgerorte zu besuchen.“

Usbekistan ist jung. Von den knapp 28 Millionen Einwohnern auf einer Fläche etwas größer als Deutschland ist mehr als die Hälfte unter 20 Jahren. Drei bis fünf Kinder sind in den Städten üblich. „Auf dem Land kann eine Familie aber auch die Größe einer Fußballmannschaft erreichen“, erzählt Feruza. Gebärfreudige Frauen werden von der Regierung belohnt. Wer mindestens fünf Kinder hat, kann vorzeitig in Rente gehen.

Vieles andere, was unter dem Staatschef Islam Karimow passiert, ist allerdings weniger erfreulich. Ihm werden unter anderem das Manipulieren von Wahlen, Kinderarbeit in der Baumwollernte und Internet-Zensur vorgworfen. Doch seine autokratischen Machenschaften sind harmlos gegen Tamerlan. Seit der Unabhängigkeit 1991 wird der Tyrann, der im 14. Jahrhundert ein Riesenreich mit beispielloser Grausamkeit regierte, in Usbekistan als Nationalheld verehrt. In Taschkent thront nun dort, wo früher die Statuen von Marx und Engels standen, ein klobiges Denkmal mit dem Menschenschlächter. Er soll die Totenschädel seiner Feinde zu Pyramiden aufgetürmt und Baumeister zwangsimportiert haben, damit sie ihm in seinem Imperium das „schönste Antlitz der Erde“ errichten.
Diesen Beinamen trägt Samarkand, unsere letzte Station. Die ehemalige Hauptstadt Usbekistans ist eine sagenhafte Anhäufung von Prunkbauten. Im Mausoleum Tamerlans, einem riesigen Kuppelbau-Minarett-Ensemble, ist alles, was glänzt, Gold. Und die Nekropole Shohizinda erweist sich als eine riesenhafte Schönheit mit Moscheen und Mausoleen.

Gegenüber der Totenstadt pulsiert der Basar. Frauen polieren runde Brote, gestempelt mit schmucken Mustern. Walnüsse, Rosinen und getrocknete Aprikosen sind zu perfekten Kegeln aufgetürmt, Melonenberge präzise drapiert. Usbekistan, das steht nun fest, hat ein Faible für Formen und einen Drang zur Ordnung. Eine Händlerin reicht einen Granatapfel über die Theke: „Bester Preis, beste Qualität“, strahlt ihre goldene Zahnfront mit der Abendsonne um die Wette. Am Stand nebenan stehen Flaschen mit Baumwollöl. Es ist eine essenzielle Zutat für das usbekische Nationalgericht „Plov“ – Reis, Möhren, Zwiebeln und Hammelfleisch, gebadet in dem goldgelben Öl.

Fotos: pa
Auf dem Registan-Platz in Samarkand, dem bekanntesten Fotomotiv Usbekistans, tummeln sich Frauen mit Besen wie Hummeln. Der Dreck muss weg. Bloß welcher? Zwischen den drei gigantischen Koranschulen ist alles picobello. Portale mit glasierten Ziegeln in Blau, Türkis und Lila, überbordende Ornamentik, akkurate Geometrie. Oder nein, die Minarette scheinen zu schwanken. Man reibt sich ungläubig die Augen und überlegt, ob das noch irgendwie mit der gestrigen Wodka-Probe zusammenhängen kann. Doch die Schieflage bleibt: Die schlanken Bauwerke haben Statikproblem. „Der Volksmund“, sagt Reiseleiterin Feruza, „nennt sie auch die betrunkenen Minarette.“
MIT DEM ZUG ENTLANG DER SEIDENSTRASSE
Der Sonderzug „Registan“ heißt mittlerweile „Orient Silk Road Express“. Informationen dazu gibt es beim Berliner Veranstalter Lernidee Erlebnisreisen unter www.lernidee.de.