British Virgin Islands, Inseln, Reportagen

Painkiller aus der Bordbar


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Backpulversand, smaragdgrünes Wasser und weiße Yachten: Die British Virgin Islands in der Karibik sind ein Paradies zum Chillen. Aber was passiert, wenn sieben Menschen, die sich nicht kennen, auf wenigen Katamaranquadratmetern eine Woche lang zusammen hausen?

Erst am Yachthafen von Tortola wird mir klar, dass ich ein wichtiges Detail übersehen habe. Wir werden in den nächsten Tagen nicht auf Tagestouren mit dem Katamaran gehen, sondern auch die Nächte an Bord verbringen. Vor mir am Steg wiegt sich unsere schwimmende Ferienwohnung auf dem türkisblauen Wasser – eine schnittige Schönheit in Brautweiß, aber gerade mal 14 Meter lang und 8 Meter breit. Deswegen sollten wir also nur eine knautschfähige Reisetasche mitbringen und keinen sperrigen Hartschalenkoffer. So langsam wird mir etwas mulmig. Denn ich liebe große Plätze, Ebenen und endlose Strände. Und ich verabscheue alles Enge wie Fahrstühle, Zugabteile und Schiffskabinen. Der Katamaran „Pergolese“, Modell Catana 50, verfügt über fünf Kojen, ebenso viele Nasszellen, Küchenzeile und Sitzecke. Ein Reich, das ich mir mit sechs anderen Menschen teilen muss, die ich noch nie zuvor gesehen habe: drei aus Deutschland, zwei aus Österreich und eine Amerikanerin. Drei Frauen, drei Männer und ich.

Während ich mich noch frage, ob ich mich da nicht gerade in eine Art soziales Experiment begebe, winkt uns auf dem frisch gewischten Deck die Skipperin herbei. Captain Debbie Clark ist groß und drahtig, ihre Haut hat die Farbe von starkem Milchkaffee und ihre Haare sind sonnengebleicht. Sie trägt ein Top, Boardshorts und keine Schuhe. Ich schmeiße meine Reisetasche voraus und springe hinterher, denn zum Umdrehen ist es nun zu spät. Und zum Erkunden der wild versprengten Jungferninseln gibt es auch kein besseres Fortbewegungsmittel als ein wendiges Segelboot.

BVI Segel
Die Takelage unseres Katamarans Pergolese

Debbie weist uns in den Pergolese ein: Schuhe sind an Bord nicht gern gesehen, kein Toilettenpapier ins Klo werfen, Türen und Fenster geschlossen halten, damit die Klimaanlage arbeiten kann, aber vor allem Obacht auf die schwenkenden Segel, um nicht über die Reling katapultiert zu werden. Als es an die Kabinenverteilung geht, schließe ich mich mit Kerstin zusammen. Sie ist in meinem Alter und wirkt unkompliziert.

Dann lichten wir die Anker, holen die Bojen ein und nehmen Kurs auf einen Teil der Karibik, der Photoshop-Retusche so gar nicht nötig hat. Das Wasser changiert zwischen ultramarin und smaragdgrün. Der Sand hat entweder die Farbe von Vanilleeis oder ist fast so weiß wie Backpulver. Und über den Himmel ziehen fluffige Wolkenflöckchen. Hin und wieder nutzen wunderschön gezeichnete Möwen unseren Pergolese als Zwischenstation.

BVI Insel
Karibik wie aus dem Bilderbuch, hier ein Sandtupfer im türkisen Nirgendwo

Schnell zeigt sich, dass unsere Crew aus lauter Segelnieten besteht, und wir für Captain Debbie eher ein Störfaktor als eine Hilfe sind. Bis auf Gernot. Der Österreicher ist schon auf allen möglichen Schiffen und in allen möglichen Gewässern  unterwegs gewesen, wie er uns am Abend in gemütlicher Runde erzählt. Manchmal waren die Schiffe nur halb so groß wie der Pergolese, aber doppelt so viele Personen an Bord. Unsere Belegung sei also purer Luxus.

In unserer Kabine ist trotzdem planvolles Handeln angesagt: Die Tür zum Bad – WC mit Handbrause – lässt sich nur öffnen, wenn die Kabinentür geschlossen ist. Die Kabinentür können wir aber nicht geschlossen halten, weil die Klimaanlage ein Problem hat und wir irgendwie ein bisschen Luft in das drückend heiße Kabuff schleusen müssen. Die Dusche funktioniert allerdings hervorragend. Unser Pergolese hat einen 800-Liter-Wasserbauch, der von der schiffseigenen Entsalzungsanlage befüllt wird. Vor dem Anschalten der Brause sollte man aber daran denken, alles, was nicht nass werden soll, in Sicherheit zu bringen. Anfangs gelingt mir das nicht immer.

Mit meiner Kabinengenossin Kerstin habe ich ein Glücklos gezogen: Wir sind total auf einer Wellenlänge. Bald haben wir eine unausgesprochene Regel aufgestellt, damit wir uns nicht ständig anknuffen. Nach Möglichkeit kramen wir nicht zur gleichen Zeit in der Kabine herum. Debbie bewohnt die vordere Koje, die nur über eine kleine Luke mit steiler Leiter zu erreichen ist. Doch das scheint ihr nichts auszumachen. Früher arbeitete die 55-Jährige für den Tabakriesen Philip Morris in Kentucky, bis sie keine Lust mehr hatte. Seitdem lebt sie auf den British Virgin Islands und segelt mit Touristen.

BVI Kabine
Unser Kojenkabuff im Bauch des Pergolese

Obwohl die Regenzeit noch nicht begonnen hat, regnet es viel auf unserer Reise. Debbie passt die Schauerpausen meisterhaft ab, um uns mit dem Beiboot immer wieder trocken an Land zu bringen: zum Essen, zu einem Musik-Festival, zu Inselrundfahrten. Auf Virgin Gorda streifen wir durch die Felsbrockenformation „The Baths“, wo schon Heidi Klum für eine H & M-Kampagne posiert haben soll. Unser Crew-Mitglied Thomas, der Fotomotivjäger, ist von den elefantengrauen Steinen, den kleinen Grotten, dem weißen Sand und dem kristallklaren Wasser hingerissen. Im Stakkato drückt er auf den Auslöser und ist kaum wieder wegzubekommen.

BVI Regen
Obwohl die Regenzeit noch nicht bekonnen hatte, regnete es oft auf unserer Reise.

Debbie und Gernot sind nach kurzer Zeit ein eingespieltes Team. Um ihnen beim Segelsetzen und den Ankermanövern nicht im Wege zu stehen, verkrümele ich mich auf die Schlummermatte neben dem Mast oder auf das federnde Netz am Bug – ein perfekter Platz zum Lesen, Musikhören und In-die-Wolkenschauen. Das Wellenschaukeln macht mich wunsch- und willenlos, vielleicht ist es aber auch die Schwüle. Den anderen Urlaubern scheint es ähnlich zu gehen, zumindest sind die Buchten der Jungferninseln kollektive Chill-Zonen. Segelboote namens „Happy“, „Mambo“ und „Painkiller“, wie der inseleigene Cocktail heißt, schunkeln phlegmatisch um die Bojen. Und die wenigen Leute, die ich sehe, bewegen sich im Zeitlupentempo.

Mit der Zeit pendeln wir uns immer besser ein. Ralf aus dem Rheinland ist in die Rolle des Schankwarts geschlüpft. Neben Wasser und Bier, notdürftig gekühlt in einer Plastikbox mit Eiswürfeln, hat er auch einen Cocktail im Angebot: Ananassaft aus der Dose mit billigem Rum und frisch geriebener Muskatnuss – ein Abklatsch des „Painkiller“ und ein absolut abscheuliches Gesöff! Aber des Gemeinschaftsgefühls wegen kippe ich doch den einen oder anderen Becher hinunter …

Zum Abendessen setzen wir meist auf die Inseln über, denn nach kochen in der Miniküchenecke steht uns nicht der Sinn. Außerdem wollen wir auch etwas Abwechslung zur Himmel-Meer-Tapete haben und uns unter die Einheimischen mischen. Auf der Hauptinsel Tortola kämpfen wir uns bei der Restaurantkette Pusser’s tapfer durch riesige Burger-Portionen, und mehrfach genießen wir köstliche Gerichte mit Goldmakrelen. Auf Anegada, einer spröden Insel im Norden, flach und bleich wie ein Crêpe, testen wir das beliebte Hummer-Bankett des Reef Hotels.

BVI Anegada
Flach und spröde: die Insel Anegada

Viel zu sehen gibt es auf den British Virgin Islands nicht. Auf Anegada erschöpft sich das Angebot in einer fliegenumschwärmten Leguan-Pflegestätte und der mit Kuhschädeln dekorierten „Cow Wreck Bar“. In Road Town, dem Hauptort von Tortola, besuchen wir ein kleines Museum, das über Zuckerrohranbau und Sklaverei informiert, und bummeln durch die Main Street mit pink-violetten und kanariengelben Buchläden, Souvenir-Shops, Galerien und Teestuben.

BVI Road Town
Die „Hauptstraße“ in Road Town

Und dann unternehmen wir noch einen Abstecher zur berühmtberüchtigten Bar von Bomba, dem Feierkönig. Der gammlige Schuppen ist üppig mit verrotteter Unterwäsche dekoriert und mit Sprüchen beschmiert – „Bomba likes blondes, but he loves all women“. Hier treffen sich die Leute zur Full-Moon-Party, nachdem sie sich mit Magic Mushrooms und Joints in Stimmung gebracht haben.

BVI Bomba Bar
Die Bar von Feierkönig Bomba
Fotos: pa

Nachts fliehe ich oft aus der stickigen Kabine auf das Vorderdeck. Das Netz eignet sich, sofern man eine Matte unterlegt, ganz fabelhaft als Bett. Leider dauert es nie lange bis zum nächsten Regenguss, so dass ich erneut umziehen muss. Meist entscheide ich mich dann für die Bank im Gemeinschaftsraum, auch wenn dort Debbie in aller Herrgottsfrühe mit den Frühstücksvorbereitungen beginnt und meine Nacht dann zu Ende ist.

Die Tage dämmern dahin mit Nichtstun, Schnorcheln, Schwimmen und Stand-up-Paddling, das Debbie königlich beherrscht und Neugierigen bereitwillig lehrt. Umso erstaunlicher ist es, dass wir uns auf den wenigen Katamaran-Quadratmetern nicht auf die Nerven gehen. Selbst an einem Nachmittag, als das Wetter sehr übellaunig ist und der Pergolese kräftig schaukelt, gerät der Gruppenfrieden nicht und nur der Magen unserer vierten Frau, Silke, aus dem Gleichgewicht.

Hätte uns jemand beobachtet, ihm wäre schnell langweilig geworden. Denn auf dem Pergolese ereignete sich kein einziges Drama. Keine Zanktheater, keine stumpfen Saufgelage, keine Zickenkriege, keine Macho-Machtspiele. Vielleicht ein glücklicher Zufall, vielleicht hat uns aber auch der Caribbean Way of Life so friedfertig gemacht.

DER WEG INS SEGELPARADIES
Das Fremdenverkehrsamt der British Virgin Islands informiert auf der Internet-Seite www.bvitourism.de.

One Comment

  • Das ist einfach gut, weil es einfach echt ist. P.G., Du hast Dir die Freiheit genommen, die zu Dir passt, die Räume erobert, die Du brauchst, und bist jetzt mehr denn je ein Original.geworden, das einen Wiedererkennungseffekt nach zwei Sätzen auslöst. Man möchte gar nicht mehr aufhören, Dir bei diesem Trip um die Welt.zu folgen.

    Darf man auch kritisieren? Ich versuche es. Ich habe immer den Eindruck einer gewissen Hast bei Deinen Schilderungen empfunden, weil oft ein Fazit der persönlichen Eindrücke fehlt, das frei von positiven oder negativen Einzelereignissen und Geschehnissen ist. Land und Leute, würde ich da leben wollen? Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht? Aber vielleicht ist das auch gar nicht Dein Ding, dir darüber ein Urteil anzumaßen? Soll lieber Jeder sein eigener Kundschafter sein? Könnte ja sein. Aber es gibt nicht nur Touristen, die sich dafür interessieren. Es gibt auch Wissbegierige.

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