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Nach der Menschenflut erwacht der Zauber


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Wer reich und schön ist, weckt Begehrlichkeiten. Dubrovnik war früher beides. Doch dann ging es mit dem Handel bergab, die Stadt wurde von Erdbeben geschüttelt und im Kroatienkrieg von jugoslawischen Streitkräften bombardiert. Seit die Schäden behoben sind, überschwemmen Kreuzfahrtgäste die „Perle der Adria“. Deshalb ist es gut, die touristischen Gezeiten zu kennen und den Altstadtbesuch auf die Ebbe zu terminieren.

„90 Kuna“, schnarrt der Kassenwart. Fast zwölf Euro dafür, dass wir auf einer mittelalterlichen Stadtmauer herumklettern dürfen, von der wir uns noch fragen, ob sie überhaupt vollständig echt alt ist? Ein paar Meter weiter bekämen wir für das Geld eine Riesenportion Eis. Doch uns bleibt keine Zeit für Wankelmut. Es ist schon mitten am Vormittag, also „Hauptangriffszeit“, wie unser Dubrovnik-Guide Niko Vicelja sagt. Die ersten Touristengruppen prozessieren durch die Stadttore in das Gassengeflecht der Altstadt. Wenn wir uns auf der Stadtmauer nicht in einen Schneckentempogänsemarsch einreihen wollen, müssen wir uns beeilen.

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Wer auf der Stadtmauer keinen Gänsemarsch erleben will, sollte die Stoßzeiten meiden.

Seitdem die Spuren des Krieges beseitigt sind, boomt der Tourismus in Dubrovnik. Bis auf einige dezente Mahnmale erinnert nur die Perfektion der Rekonstruktion noch an das dunkelste Kapitel der kroatischen Weltkulturerbe-Stadt. Viele Millionen US-Dollar wurden von den Stadtvätern und der Unesco aufgewendet, um die Einschusslöcher in den Kaufmannshäusern zu kitten, die Krater in den Straßen aufzufüllen und die Dächer mit neuen Ziegeln zu belegen. Jetzt sehe die Altstadt ein wenig wie Disneyland aus, findet der Leiter des Instituts für Wiederaufbau, Vjekoslav Vierda. „Aber die Verwitterung der Jahrhunderte können wir nicht nachbilden“, bedauert der Experte.

Mehr als zwei Drittel des historischen Zentrums hat bei der neunmonatigen Belagerung schweren Schaden genommen. Besonders schützenswerte Gebäude trugen die blau-weißen Unesco-Plaketten, gerieten aber gerade dadurch ins Visier der serbischen Truppen. Selbst Klöster, Kirchen und andere Kostbarkeiten wie der Sponzapalast mit dem Stadtarchiv erfuhren vor dem Kugelhagel keine Gnade.

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Auf dem Hausberg Srd erinnert ein Museum an den Krieg.

Am Abend zuvor hatte uns Niko schon das Franziskanerkloster gezeigt. Am 6. Dezember 1991, dem schwärzesten Tag des Bürgerkrieges, prasselten mehr als 600 Geschosse auf Dubrovnik nieder. Eines davon sauste quer durchs Kloster und steckt dort noch immer. Niko ist die Belagerung erspart geblieben. Sein Vater hatte ihn und seine Mutter mit einem der letzten Schiffe nach Deutschland geschickt. Mehrere Monate warteten sie vergeblich auf ein Lebenszeichen von dem Zurückgebliebenen, denn Dubrovnik war komplett abgeschnitten.

Der Fremdenverkehr begann sich erst ab der Jahrtausendwende zu erholen, dann aber mit Riesenschritten. Inzwischen gehen jährlich rund 700 Kreuzfahrtschiffe in Dubrovnik vor Anker und spülen mehr als einer Million Menschen in die engen Straßen. Es habe schon Tage gegeben, an denen die Polizei eingreifen musste, um das Gedränge zu regeln, erzählt Niko. So plötzlich wie die Massen einfallen, verschwinden sie aber auch wieder. Die Ebbe setzt meist am frühen Abend ein, weil die Passagiere pünktlich zum Büfett wieder an Bord sein wollen. Niko möchte sich über die Touristeninvasion jedoch nicht beklagen. Denn sie hat ihm nicht nur seinen Job beschert, sondern auch seine große Liebe. Er entdeckte seine „Delitzscher Praline“, Steffi aus Sachsen, in einer deutschen Reisegruppe. Auch Nikos Mutter kam als deutsche Touristin nach Kroatien und verliebte sich in einen jungen Kroaten – Nikos Vater.

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Am späten Nachmittag beginnen sich die Altstadtstraßen zu leeren.

Wir wollen von der Stadtmauer wieder runter sein, bevor die Menschenspringflut ihren Höhepunkt erreicht. Gestern Abend hatte die Altstadt noch wie eine Geisterstadt ausgesehen, nicht einmal Einheimische waren unterwegs, weil ein apokalyptisches Unwetter die Straßen in eine Suppenschüssel verwandelte. Ohnehin ist das historische Viertel bei den Einheimischen zum Wohnen nicht sonderlich beliebt, weil die Immobilienpreise in astronomische Höhen gestiegen sind, Souvenir-Shops die Läden für den Alltagsbedarf verdrängt haben und Autos draußen vor den Toren bleiben müssen. Viele Häuser stehen deshalb leer oder gehören Engländern, die hier ihre Ferien verbringen. Erst als wir über enge Treppen in die allerverwinkelsten Gassen gestiegen sind, irgendwo hinter der Kathedrale und der Jesuitenkirche, hatten wir Zeichen von Alltagsleben entdeckt – Blumentöpfe in den Fenstern, Wäscheleinen vor blätternden Fassaden, klapprige Mütterchen beim Spazierengehen und Jugendliche beim Basketballspielen.

An diesem Vormittag strahlt der Himmel über Dubrovnik in Unschuldsblau mit feinstgezupfter Wolkenwatte. Wir erklimmen die steilen Treppen der Stadtmauer – und was wir dann sehen, ist mehr als erhofft. Viel mehr. Der bis zu sechs Meter breite, bis zu 25 Meter hohe und fast zwei Kilometer lange Festungsgürtel ringelt sich mit Türmen und Bastionen einmal um die ganze Altstadt. Der Blick reicht über orangefarbene Dächer, Glocken- und Wehrtürme, Paläste, Klöster und Satellitenschüsseln bis zum glitzernden Meer mit den vorgelagerten Inseln. Fürwahr, die „Perle der Adria“ schillert wieder. Hoch droben auf dem Hausberg Srd ist die Festung mit dem Kriegsmuseum zu erahnen, zu dem eine Seilbahn gondelt.

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Für diesen Ausblick lohnt es, auf die Stadtmauer zu kraxeln.

Auf der Mauer gibt es kaum Schatten, aber viele Treppen, was wir nicht schlimm finden, weil wir zum Schauen und Fotografieren sowieso ständig stehen bleiben, denn jede neue Perspektive erscheint noch reizvoller. Von hier oben fällt besonders auf, dass die Häuser am Stradun, der fast 300 Meter langen Flaniermeile, keine Balkons besitzen. Das ist zur Sicherheit der Passanten, falls die Stadt mal wieder beben sollte. In einer Seitengasse des Straduns hatte uns Niko die angeblich erste „Baby-Klappe“ der Welt präsentiert. Im Mittelalter konnten dort unfreiwillig schwanger gewordene Mägde, die zum Arbeiten in die Stadt gekommen waren, ihr Neugeborenes abgeben und so der gesellschaftlichen Ächtung entgehen.

Damals war Dubrovnik noch die reiche und unabhängige Republik Ragusa, die eine der größten Seehandelsflotten der Welt befehligte, mit einem fortschrittlichen Sozialsystem für das Wohlergehen der Bürger sorgte und gegen Korruption und Klüngel jeden Monat einen neuen Regenten ins Amt hob. Um sich gegen Venedig zu schützen, den Erzrivalen im Kampf um die Handelsmacht im Nordwesten der Adria, ließen die Stadtherren eine bullige Mauer errichten. Allabendlich wurden die Tore geschlossen.

Heute können die Besucher ein- und ausgehen, wie es ihnen gefällt. Unten vor der Kirche St. Saviour wimmelt es mittlerweile wie in einem Bienenstock. Über den Köpfen der Kreuzfahrttouristen tanzen die Fähnchen und Schilder der Reiseleiter. Wir schlüpfen aus dem Pile-Tor und wollen abends wiederkommen – dann, wenn das Geschnatter in Gemurmel übergeht, wenn die Straßenlaternen eine surrealistisch schöne Szenerie zaubern, die an das extreme Licht- und Schattenspiel ganz früher Stummfilme erinnert.

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Touristengewimmel vor der Kirche St. Saviour
Fotos: pa

ÜBER DEN DÄCHERN VON DUBROVNIK
Informationen zu Dubrovnik gibt es beim Fremdenverkehrsamt von Kroatien unter http://croatia.hr und beim Tourismusbüro von Dubrovnik unter http://www.tzdubrovnik.hr/deu.

2 Comments

  • Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag!
    Wir waren diesen Sommer in Vodice, ist ein gutes Stück nördlicher von Dubrovnik. Leider haben wir es nicht dorthin geschafft… Wenn ich diesen Bericht lese, wird mir jedoch bewusst, dass wir dort auf jeden Fall nochmal hin müssen.
    Vodice war aber ebenfalls von Touristen überfüllt, am liebsten fährt man dorthin in der Nebensaison.
    LG, Sonja

  • Für den großen Reisejournalisten Hans Scherer war Dubrovnik eine der schönsten Städte der Welt. Ich hatte das Glück, „vorher“ in seiner Gesellschaft dorthin reisen zu dürfen. Ich fand die Stadt auch „nachher“ (2003), nicht so verändert, dass man ihr das hohe Prädikat hätte absprechen müssen. Und sobald die Besucher den Blick freigeben, scheint es ja immer noch ganz so zu sein. Schön so. Winnie

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