Fotoreportagen, Niederlande

Flohmarkt in Amsterdam: Herzige Plastikponys, Kriegsveteranen mit Gasmasken


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Es gibt viele Gründe, Flohmärkte zu verabscheuen: das Durcheinander (wehe dem, der etwas Bestimmtes sucht); das Gedränge (wehe dem, der ungestört etwas aus- oder anprobieren will); …

… das Keller- und Dachboden-Odeur der Note „Moder“ (wehe dem, der eine empfindsame Nase hat); der Second-Hand-Verkauf (mit den Klamotten könnte auch Ungeziefer den Besitzer wechseln, schließlich heißen Flohmärkte deshalb seit ihren Anfängen im Mittelalter so); das Feilschen (als Mitteleuropäer hat man das ja eher nicht so im Blut und meist auch keine Ahnung: seltenes Sammlerstück oder billiger Tand?).

Es gibt aber mindestens ebenso viele Gründe, Flohmärkte zu lieben: das Durcheinander (man findet, wonach man nie gesucht hatte); das Gedränge (es animiert zum spontanen Beutemachen, denn man ist umzingelt von lauter anderen Jägern und Sammlern); das Moder-Odeur (Chemikaliengerüche fabrikneuer Waren sind schlimmer); der Second-Hand-Verkauf (wie geheimnisvoll: Wer mag den Hippie-Mantel schon alles getragen haben, welche Reisen der Lederkoffer hinter sich haben, welche Freuden und Fegefeuer der Kristalllüster beleuchtet haben); das Feilschen (klappt doch immer irgendwie – und am Ende fühlen sich alle als Gewinner).

Und: Flohmärkte sind Kuriositätenkabinette, die in der Kundschaft ihre Entsprechung finden. Freaks und Fachleute treten hier gehäuft auf, nicht selten in ein und derselben Person. Und: Flohmärkte sind wie Fastnacht. Es herrscht Narrenfreiheit, so dass man sich selbst die albernsten Sachen unbesorgt überstülpen kann – der Fundus ist ja eine Steilvorlage für die Fantasie. Und: Flohmärkte sind Reisen durch Zeiten und Welten, wie Kunstausstellungen mit einem Kurator namens Chaos, der die wunderlichsten Arrangements generiert – aus Alt und Neu, Kitsch und Kostbarkeiten, Nutzlosem und Nützlicherem.

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Ganz viel von alledem bietet der Flohmarkt in den IJ-Hallen im Norden von Amsterdam, der ein bis zweimal im Monat stattfindet und Touristen wie Einheimische gleichermaßen lockt. Hinter dem Hauptbahnhof verkehrt eine kostenlose Fähre zu dem Stadtteil jenseits der Ijssel.

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Bis zum Niedergang der Schiffbauindustrie in den achtziger Jahren wurden hier riesige Tanker zusammengeschweißt, heute sind die Werftgelände alles Mögliche: Kreativschmieden von Startup-Unternehmen, Künstlerspielwiesen und Location für Kulturveranstaltungen.

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Ob der Trödelmarkt mit seinen 450 Ständen tatsächlich der größte von ganz Europa ist, wie die Eigenwerbung verspricht, darf angezweifelt werden. Die 4,50 Euro Eintritt lohnen sich aber allemal.

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Zu Beatles- und Bob-Dylan-Songs, die aus antiquierten Tonträgern scheppern, kann man sich durch einen wahren Dschungel aus Vintage-Kleidung schlagen.

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Hier gibt es alles für die Veredelung individuellster Looks und zum Schwimmen auf der Retro-Welle – angefangen bei federgeschmückten Filzhüten, abzeichenbesetzten Offiziersmützen und bestickten Sombreros …

… über gerüschte Prinzessinnenkleidchen, Paillettenfummel, Pelzroben, Tarnmonturen und Trainingsanzüge bis zu Turnschuhen, satinbezogenen Stilettos und verbeulten Cowboy- und Piratenstiefeln.

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Möbel, Lampen, Bücher, Schmuck, Spielzeug und ein schrilles Spektrum an Staubfängern sind bei einem Flohmarkt dieser Größenordnung natürlich ebenfalls reichlich vorhanden.

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Zwischen Kraut-und-Rüben-Ständen wie diesem, die als Werke des blanken Chaos einen eher unbestimmten künstlerischen Wert besitzen, …

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… kann man auch Kompositionen entdecken, die eine konkrete Botschaft zu transportieren scheinen. So wie diese hangelnden Clowns, hinter denen sich ihre Betrachter spiegeln .

Oder jener Kriegsveteran im Rollstuhl – nackt bis auf die Uniformmütze, eine Maske über dem Gesicht, eine andere über dem Gemächt.

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Oder jene testosterongesteuerten Action-Helden, die mit Oma-Café-Häkeldeckchen und gechillten Elefantenkarawanen kontrastieren. 

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Oder jene friedlich posierende Regenbogennation der Barbie-Beauties. Würde man eine „Miss Universe“-Wahl ausrufen, wäre das wohl der Startschuss zum großen Haareausreißen und Augenauskratzen.

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Oder jene Plastikponys von Hasbro, die sich zärtlich die Kunsthaarmähnen beknabbern. Einst Traum vieler Mädchen, können „Schleifchen“ und „Zuckerschnute“ nur noch auf ein Gnadenbrot von Liebhabern hoffen. Die neuen Modelle des amerikanischen Spielzeugriesen heißen „Pinkie Pie“ und „Fluttershy“ und sind interaktiver.

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Auch bei dem Bullenschädel kann man sich fragen, ob er rein zufällig über dem Ensemble der Zerbrechlichkeit baumelt. Und wenn nicht, was es denn zu bedeuten hat.

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Gleiches gilt für dieses Wildschwein, das hier der zivilisatorischen Errungenschaft der Backförmchen Gesellschaft leistet. 

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Zeit: Ja, davon sollte man genügend mitbringen, zwei Stunden mindestens. Um einem Leistungseinbruch während des Stöbermarathons vorzubeugen, empfiehlt sich ein Stopp an einer der Poffertjes-Buden auf dem Gelände. Die niederländische Gebäckspezialität versorgt den Körper optimal mit Fett und schnell verwertbarem Puderzucker.

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Den größten Schatz besitzt, wer sich mit wenig zufrieden gibt. Wenngleich die reisekorrespondentin der Genügsamkeitslehre des Glücksbuddhas grundsätzlich zugetan ist, mussten drei Dinge doch dringend mit: 

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diese Zwergenfigur (für einen späteren Mitbringsel-Beitrag), …

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… dieser schwarze Wollmantel mit glänzenden Knöpfen (Liebe auf den ersten Blick) …

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Fotos: pa

… und diese flauschige Fellweste (Liebe auf die erste Berührung).

6 Comments

  • Als alter Flohmarkt-Fan bin ich natürlich begeistert von dem Beitrag. :-)))) Könnte sicherlich einen ganzen Tag da verbringen … Um den toll geschnittenen Mantel hätten wir uns allerdings hauen müssen, ganz nach Zickenmanier ;-). Wobei … warhscheinlich hätte mir das Teil eh nicht gepasst – zu klein.

  • Humorige Kollage und ein Feuerwerk der Fanatsie! Ist häufiger hier so, sonst würde ich unterstellen, es war eine gewisse inspirierende Zutat im Spiel, die bei unseren niederländischen Nachbarn legal erhältich ist. ;-) Lustig zu lesen.

    • Dankeschön für das Feuerwerk! Und wenn die „gewisse inspirierende Zutat“ richtig als Cannabis zu dechiffrieren ist: Nein, es war allein die Fülle der Auslagen, die sich betörend auf die Sinne auswirkte. Legal ist übrigens nicht ganz richtig, vielmehr handelt es sich um eine verschwurbelte Form der Duldungspolitik.

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