Die Fahrt auf den Pic du Midi sollte der Höhepunkt unserer Reise durch die französischen Pyrenäen werden. Auf dem Gipfel wollten wir den Blick auf die Berge genießen, einen unvergesslichen Sonnenuntergang erleben und nach den Sternen der Milchstraße greifen. Doch dann kam alles ganz anders.
Wir schweben durchs watteweiße Nichts. Schon wenige Meter nach dem Start ist die Seilbahn zum Pic du Midi in dichten Nebel eingetaucht. Tief unter uns müssten jetzt die verschneiten Hänge der Pyrenäen vorbeiziehen, doch wir gondeln noch immer durch undurchsichtige Wolkenschwaden. Bis auf das leise Surren der Seilbahn ist alles still. Und dann taucht sie ganz plötzlich vor uns auf, wie die Kulisse eines Science-Fiction-Films am Übergang zwischen Himmel und Erde: die Bergstation mit der Sternwarte.
Ein Ausflug auf den 2.877 Meter hohen Gipfel des Pic du Midi gehört zu den Höhepunkten einer Reise in die südfranzösische Region Midi-Pyrenäen. Uns war ein unvergesslicher Abend versprochen worden, mit Sonnenuntergangsszenario in Goldorange, später die Sterne der Milchstraße zum Greifen nahe. Doch als wir aussteigen, wirbelt um das Observatorium ein Weltuntergangsschneetreiben. Die Panoramaterrasse ist mit einem dicken Schneemantel bedeckt, so weiß und weich wie Hermelinpelz. Keine Berge nirgendwo, überall nur Flockengeschwader. Als wäre Frau Holle im Schüttelwahn.

Schon vor mehr als 100 Jahren haben sich die ersten Wissenschaftler zum Sternegucken an diesen menschenfeindlichen Ort begeben. Damals musste das Equipment noch mit Maultieren den steilen Weg heraufgeschafft werden, und die schlechte Versorgung gefährdete die Gesundheit der Forscher. Unter ihnen war auch ein Ingenieur namens Célestin Vaussenat. Er betreute den Bau des Observatoriums, ließ den Gipfel planieren und weitere Gebäude errichten, bis er 1891 wegen einer Herzattacke in den Kurort Bagnères-de-Bigorre verfrachtet werden musste. Eine Woche später segnete Vaussenat dort das Zeitliche.
In den folgenden Jahrzehnten beschäftigten sich auf dem Pic du Midi wechselnde Forschungsgruppen mit Planetenbeobachtung, kosmischer Strahlung und einer Mondkarte zur Vorbereitung der Apollo-Mission der NASA. Doch dann geriet die Sternwarte in finanzielle Nöte. Erst die touristische Nutzung machte die Wiedereröffnung möglich. Heute transportiert die moderne Seilbahn, die direkt im größten Pyrenäen-Skigebiet La Mongie-Barèges abfährt, an Spitzentagen bis zu 3.300 Besucher auf den Berg. Sie können dort ein Museum zur Geschichte der Sternwarte besichtigen, in einem Restaurant regionale Spezialitäten kosten, Sterne beobachten und sogar übernachten.


Der Pic du Midi ist eine von 25 herausragenden Sehenswürdigkeiten, die sich vor fünf Jahren zu den „Grands Sites Midi-Pyrénées“ zusammengeschlossen haben. Städte wie Toulouse, Lourdes und Albi gehören ebenso zu diesem Bunde wie Attraktionen der Natur. Wir setzen unsere Fahrt nach Süden fort, vorbei an Natursteinhäusern, blühenden Obstbäumen und sprießenden Wiesen, wonnigen Boten des Frühlings, bis wir in Gavarnie wieder in ein Reich aus Eis und Schnee gelangen.
Vor vielen Jahrmillionen haben Naturgewalten hier einen Felsenkessel geschaffen, dessen Ausmaß und Perfektion so ungeheuerlich ist, dass unsere Fantasie macht, was sie will: Wurde diese mehrere Kilometer breite und Tausende Meter hohe Arena wirklich nur von Gletschern geformt? Oder waren nicht doch urzeitliche Frostriesen mit Megameißeln am Werke, die sich ein gigantisches Freilufttheater errichten wollten? Die Abstufungen an den Felswänden sehen zumindest wie Zuschauerränge aus. Zur Winterzeit steht im „Cirque de Gavarnie“ ein sensationelles Schauspiel auf dem Spielplan: Die puderzuckerweißen Hänge sind über und über mit gefrorenen Wasserfällen dekoriert. Victor Hugo fand, dass nichts auf der Welt mit diesem „Kolosseum der Natur“ vergleichbar sei. Die Unesco teilt diese Ansicht und hat den Cirque de Gavarnie 1997 zum Welterbe gekürt.

Fast eine Million Besucher kommen jedes Jahr in den 200-Seelen-Ort Gavarnie, dem Ausgangspunkt für Wanderungen in die umliegenden Felsenkessel. Unten in den Schwesterdorf Gèdre erinnert das Restaurant La Brèche de Roland daran, dass vor langer Zeit in der Gegend ein grausames Gemetzel stattfand. Während uns Odile und Philippe mit fangfrischer Forelle, hausgemachter Foie Gras und würzigem Bergkäse bewirten, erfahren wir die Legende der Rolandsbresche. Die gewaltige Kerbe im Felsenzirkus von Gavarnie soll durch einen Schwerthieb des heldenhaften Rolands entstanden sein. Als die Niederlage gegen die Sarazenen unabwendbar schien, wollte der Recke seine Wunderwaffe an den Steinen untauglich machen.
Auch im nahegelegenen Cauterets übersteigt in der Hochsaison die Zahl der Touristen die der Einwohner um ein Vielfaches. Schon zu Napoleons Zeiten war der Ort wegen seiner Thermalquellen gefragt, heute setzen Skipisten, eine Seilbahn und der Nationalpark an der Grenze zu Spanien weitere Anreize. Wir wandern bei blauem Himmel und Sonnenschein in den Park hinein, dessen Besuchermagnet die Pont d’Espagne ist, eine Brücke umgeben von Tannenbäumen, Wasserfällen und einem Fluss voller Steine mit Schneehäubchen. Dahinter ragt der mehr als 3.000 Meter hohe, schneebedeckte Rücken des Vignemale-Massivs wie ein Albino-Dinosaurier auf.



Am Abend wollen wir in ein Spa-Resort einkehren und müssen uns entscheiden: In Luz-Saint-Sauveur lockt Luzéa, ein stilvoll renoviertes Thermalbad aus dem 19. Jahrhundert, das sich auf eine lange Tradition beruft und mit seinen vielen Apparaturen und Behandlungszellen sehr ernsthaft wirkt. Auf Spielereien und eine außergewöhnliche Architektur setzt hingegen das Aquensis. Es befindet sich in Bagnères-de-Bigorre, wo einst der Pic-du-Midi-Pionier Vaussenat verblich, und erinnert mit seiner hohen Holzbalkenkonstruktion an eine Kathedrale. Auf drei Etagen wird hier die ganze Wellness-Klaviatur rauf- und runtergespielt – vom Pool mit Unterwassermusik über die marmorne Hamam-Höhle bis zum Blubberbad auf der Dachterrasse.

In den Midi-Pyrenäen laden insgesamt 17 Thermalbäder zum Entspannen ein – nach langen Winterwanderungen eine besondere Wohltat. Wir beginnen in Cauterets im Le Bains du Rocher, dessen 35 Grad warmes und mineralhaltiges Wasser gegen Venenleiden und Atembeschwerden helfen soll. Das Beste an dem Bad ist die dampfende Open-Air-Lagune mit Blick auf die Berge.
WELLNESS-WONNEN UND GAUMENFREUDEN
Hotelrestaurant La Brèche de Roland: www.pyrenees-hotel-breche.com
Aquensis in Bagnères-de-Bigorre: www.aquensis.fr
Le Bains du Rocher in Cauterets: www.bains-rocher.fr
Luzéa in Luz-Saint-Sauveur: www.luz.org
Midi-Pyrenäen: www.tourismus-midi-pyrenees.de