Wer Wandern eher langweilig findet, ist in der Monbachtalschlucht im Naturpark Schwarzwald richtig. Denn die Route ist eine einzige Abwechslung – mit umgestürzten Bäumen, moosigen Felsbrocken und Wasserfällen. Ständig eröffnen sich neue Ausblicke auf wildromantische Szenen, die nur ein Künstler so absichtslos arrangieren kann: die Natur.
Um es vorweg zu sagen: Ich bin nicht so der Wandertyp. Zu dieser Erkenntnis gelangte ich schon in jungen Jahren, als wir auf Klassenfahrten von unseren Lehrkörpern durch die Wälder der Südeifel getrieben wurden, obwohl wir viel Wichtigeres zu tun hatten: Flaschendrehen spielen. BRAVO lesen. Blödsinn reden. Uns der pubertären Null-Bock-Einstellung mit Inbrunst hingeben. Die Empfehlung, dass wir unsere Wanderschuhe vor der Fahrt einlaufen sollten, hatte ich nicht beherzigt. Weil Wanderschuhe damals noch schwere Ledertreter waren, gesellten sich zur Unlust bald auch Blasen.
Seitdem hat sich die Industrie für Outdoor-Artikel mit Siebenmeilenstiefeln entwickelt und die Deutung des Wanderns weg vom Freak-Sport hin zum Mittel der Entschleunigung in reizüberfluteten Zeiten, meine Lust zum Wandern aber nicht: Ich habe noch immer irgendwas Wichtigeres zu tun – Lesen, Schreiben, ins Theater gehen, im Park faulenzen, Feiern, Nonsens reden. Oder größere Lust auf andere Aktivitäten – Radfahren, Joggen, Hindernisläufe, asiatische Kampfkunst.
Und wenn ich doch mal die Wanderschuhe schnüre, dann nur aus dreierlei Gründen: erstens, ich will ausgiebig nachdenken. Zweitens, ich bin in einem fernen Land unterwegs, sagen wir mal China, Ecuador oder Südafrika, und die Strecke verheißt außerordentlich viel Zerstreuung in Form einer exotischen Vegetation oder anderer Attraktionen – taoistische Tempel, wilde Tiere oder so. Drittens, ich werde von Menschen motiviert, deren Gesellschaft mir wertvoll ist und mit denen ich fast alles unternehmen würde.

Diesmal war es Letzteres. Wir wollten einen Rundkurs durch die Monbachtalschlucht ausprobieren – laut dem Faltblatt der Touristeninformation eines der Highlights im nördlichen Schwarzwald, das mit seiner einsamen, unberührten Natur und der geheimnisvoller Atmosphäre auch als „Schwäbischer Urwald“ bezeichnet werden könne. Auf einem Schild am Einschlupf zur Strecke erfahren wir, dass unser Vorhaben „nicht ungefährlich“ sei – also ein kleines Abenteuer, interpretiere ich die doppelte Verneinung. Bei schlechter Trittsicherheit müsse man mit nassen Füßen rechnen, denn sechsmal führe die zehn Kilometer lange Route über Steine durch den Monbach.
An diesem Herbsttag im Oktober kommt das Wasser auch von oben. Über dem Tal wabern Nebelschwaden, es nieselt. Eigentlich ein Fall für Tee und einen guten Schmöker auf dem Sofa. Vom Kurhaus in Bad Liebenzell waren wir zunächst dem Lauf der Nagold gefolgt und hinter dem alten Bahnwärterhäuschen in die Schlucht abgebogen. Bis auf einem Hund und seinem Herrchen waren wir keiner Tier- und Menschenseele begegnet.
Schon nach wenigen Metern erblicken wir den munter plätschernden Monbach, der uns in den nächsten Stunden begleiten wird. Nicht wissend, wie sehr unsere Balancierkompetenz bei den Flussquerungen strapaziert werden würde, ziehen wir uns zur Sicherheit einen Wanderstock aus dem Gebüsch. Drei Beine sind besser als zwei. Und die Möglichkeit, bei dem Schmuddelwetter nicht baden zu gehen, erscheint uns doch höchst attraktiv.


Obwohl, so richtig zum Frösteln ist es nicht. Genau genommen sogar tendenziell tropisch, zumindest aber recht warm für die Jahreszeit, was uns allerdings auch wegen des leicht ansteigenden Pfades so vorkommen mag. Es dauert nicht lange, da wandelt das schwäbische Urwäldle sein Gesicht – von einem x-beliebigen deutschen Mischwald in einen Märchenwald aus Flechten, Farnen und Zottelmoos mit dem Mystik-Faktor von Lothlórien, dem Elbenreich aus der Herr-der-Ringe-Trilogie, nur dass in der Monbachtalschlucht alles Wirklichkeit ist und auch so riecht: nach Fruchtbarkeit und Fäulnis. Auf den sattgrünen Moosteppichen hat sich das erste Herbstlaub gebettet.
Nein, Wandern in deutschen Wäldern muss nicht langweilig sein. Nicht, wenn sich Stolperwurzeln wie Gedärme über den Boden winden und Bäume, die ein Sturm, die Zeit oder auch eine Kettensäge umgeworfen hat, den Weg blockieren. Drüberklettern oder drunter durchtauchen, je nachdem. Nicht, wenn man zu rätseln beginnt, ob nun die Bäume aus den Steinen gewachsen sind oder die Steine aus den Bäumen, und beides ja nur ein Trugschluss sein kann. Nicht, wenn sich moosige Wurzeln wie die Klauen von Riesenreptilien in das Flussbett krallen. Nicht, wenn es plötzlich möglich erscheint, dass hinter den Felsen sowohl ein schwäbelnder Gnom als auch ein ätherisches Elben-Fantasy-Wesen mit langen Haaren und spitzen Ohren hervortreten könnte.



Die Monbachtalschlucht sei im Wesentlichen ein Werk der Eiszeit, informiert uns das Wanderfaltblatt. Vor Jahrmillionen strömte dort, wo heute der Monbach fließt, die Urnagold entlang von Muschelkalkhöhlen der „Urdonau“ zu. Fossil und frisch geboren zugleich wirkt dieses verwunschene Idyll aus moosbepelzten Gesteinsbrocken und quicklebendigen Wasserfällen, Knubbelwurzeln und hellgrünen Auen, zierlichen Baumkindern und verwesenden Baumleichen.
Und dann stehen wir vor der ersten Bachquerung. Gute Geister des Naturparks haben den Übergang mit flachen Steinen ausgelegt. Trockenen Fußes erreichen wir das andere Ufer. Easy. Man müsste sich schon richtig Mühe geben, um hier in den Fluss zu plumpsen. Wir haben aber auch Glück: Der Monbach führt gerade wenig Wasser. Wieder und wieder schickt uns der Wegweiser, eine rotschwarze Raute, von einem Ufer zum anderen. An allen Stellen gibt es den Komfort der flachen Steine, so dass wir später ohne triefende Schuhe ins Café einkehren können.

Und nirgendwo müssen wir uns mit Gegenverkehr arrangieren. Es hat aufgehört zu regnen, doch der Tag ist nahtlos grau geblieben. Erst kurz vor der Monbachbrücke treffen wir eine Frau, die sich von ihren drei Hunden spazieren führen lässt. Selbst die Bewohner der Monbachtalschlucht scheinen nicht in Ausflugslaune zu sein, zumindest sehen wir keinen einzigen Gnom und bis auf ein paar Vögel auch keine Tiere. Umso ungestörter können wir die Farb-Orgel des Waldes bewundern, die sowohl schrille Töne anschlägt, irgendwo zwischen Gift- und Leuchtstiftgrün, als auch zarte wie Lind- und Mintgrün.

Weil man sich an dieser Chlorophyllfülle allerdings nur im übertragenen Sinne satt sehen kann, steuern wir in der nächsten Ortschaft Monakam eine Lokalität mit Kaffee und Kuchen an. Welch glückliche Wahl! Das Café Monachorum ist ein Elysium voller Götterspeisen – Schokotorten, Apfelstrudel, Butterhefezöpfen und dem allersaftigsten Käsekuchen mit Kirschen, außerdem Pralinen mit Marc de Champagne, Schwarzwälderkirsch und Zimt-Amaretto, dazu köstlicher Fair-Trade-Kaffee aus Peru.
„Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen“ – ja klar, Goethe hat auch mit diesem Sinnsprüchlein mal wieder gnadenlos Recht. Vielleicht werde ich eines Tages doch noch zum Wandertyp. Die Monbachtalschlucht hat auf jeden Fall viel Lust auf mehr gemacht. Ganz oben auf meiner Favoritenliste steht nun die einzigartige Felsenwelt des Elbsandsteingebirges.

Fotos: pa, ja (2)
IN DEN „SCHWÄBISCHEN URWALD“
Mehr Informationen zum Wandern im Naturpark Schwarzwald gibt es unter www.naturparkschwarzwald.de und in der Gegend um Bad Liebenzell unter www.bad-liebenzell.de. Auf der Wanderung durch die Monbachtalschlucht empfiehlt sich für die Stärkung zwischendurch das Café Monachorum in Monakam (www.cafe-monachorum.de).
Mal wieder einfach toll!
Ach, das freut mich sehr! :-)