Galapagos-Inseln, Inseln, Reportagen

Unter Zwergdrachen und Riesenschildkröten


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Runzelige Meeresechsen, flugsaurierähnliche Fregattvögel und Schildkröten so groß wie Findlinge: Ohne ihre urzeitliche Tierwelt wären die Galapagosinseln ein unspektakulärer Flecken in den Weiten des Pazifiks. Um den Touristenmagneten zu schützen, gibt es strenge Kontrollen. Ein Besuch im Zoo der Urzeitgeschöpfe.

Wir schleichen auf dem staubigen Trampelpfad hinter Sergio her. Die Sonne brennt vom Himmel, um uns herum nichts als Steine, Kakteen und verdorrtes Gestrüpp. Warum hat uns der Naturpark-Guide nur in diese dornige Einöde geschippert, fragen wir uns, während vor uns ein Strand mit grauschwarzen Felsbrocken auftaucht. Was sollen wir an diesem Ort, der uns mit seiner urzeitlich anmutenden Ungeschliffenheit unmissverständlich zu verstehen gibt, dass wir hier nichts verloren haben. Dass die Lebenszeit, die uns verbliebe, wenn man uns hier vergäße, recht absehbar wäre.

Und dann, ganz plötzlich, wissen wir es: Auf den Felsen, zwischen den Felsen und unter den Felsen kauern Dutzende von Reptilien, große und kleine, alleine, paarweise oder in Grüppchen, reglos wie Denkmäler aus grauer Vorzeit. Geschöpfe von sagenhaft schöner Scheußlichkeit, Dinosaurier im Kleinformat, fossil wirkende Zwergdrachen, schwarz und starr wie erkaltete Lava. Sie haben ihre messerscharfen Krallen ausgefahren, die faltigen Hälse stolz erhoben und die verschrumpelten Gesichter trotzig verzogen. Die Botschaft der kleinen Ungeheuer erscheint so kühl wie klar: Wir Meeresechsen waren schon immer hier und sind es immerdar. Ihr Menschenwesen schert euch gefälligst wieder dorthin, wo ihr hergekommen seid. Dieser Strand ist unser Reich. Es ist der Strand Los Perros auf der Insel Santa Cruz, dem touristischen Mittelpunkt von Galapagos.

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Wie ein Denkmal aus grauer Vorzeit: Meeresechsen am Strand Los Perros

Unsere Expedition hatte am frühen Morgen in Puerto Ayora begonnen. Zusammen mit einer Schar Pelikane hockten wir am Hafen herum. Die Vögel warteten auf die Abfälle der Fischer, die gerade ihren Fang sezierten, wir auf das Glasbodenboot mit Sergio. Kaum hatten wir Puerto Ayora hinter uns gelassen, waren wir mitten drin im ganz großen Kino der Schöpfung, in einem Zoo der Superlative, geschützt durch die Weiten des Pazifiks, 1.000 Kilometer vom südamerikanischen Festland entfernt.

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Pelikane am Hafen von Puerto Ayora

Wir begegneten Seelöwen, die ausgelassen in den Wellen tollten, sich wie Meerjungfrauen mit Winterspeck auf gischtumschäumten Felsen räkelten und ganz ohne Scheu auf uns zu schwammen, obwohl wir mit unseren Schnorchelbrillen und Unterwasserkameras nicht gerade vertrauenerweckend aussahen. Dann hatte Sergio unser Boot in einen schmalen Kanal gelenkt, auf dessen Felsen wir Kormorane, Blaufußtölpel und Fregattvögel mit flugsaurierähnlichen Schwingen entdeckten. Im Wasser sahen wir ein Grüppchen Haie chillen.

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In den Wellen tollen macht müde: Seelöwe bei der Siesta

Während wir durch die Stille glitten, erzählte uns Sergio, dass die Menschen den wildromantischen Kanal gerne zum Austausch von Intimitäten nutzten und ihn deswegen auch „Canal del Amor“ nennen. Wegen der vielen Touristenboote sei das Open-Air-Liebesspiel allerdings nur noch eingeschränkt zu empfehlen. Schließlich waren wir ausgestiegen und zu den Meeresechsen gelaufen, Sergio in bester Naturburschenmanier barfüßig, selbst über kantige Steine. Schon seit vielen Jahren verzichte er auf Schuhe, ebenso auf Alkohol und Partys, erfuhren wir von dem 60-Jährigen: „Ich brauche das nicht mehr.“

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Naturpark-Guide Sergio erklärt die Kakteenarten von Galapagos.

Als wir uns den Meeresechsen nähern, ist uns ein wenig unheimlich zumute. Was, wenn die Ungeheuer nicht nur scharfe Krallen, sondern auch ebensolche Zähne besitzen? Und wovon ernähren sich die Tiere eigentlich? Sergio beruhigt uns, Meeresechsen seien friedfertige Vegetarier, am liebsten verspeisten sie Algen. Die mondgleiche Felsenlandschaft, das garstige Gesträuch, die riesenhaften Kakteen und die runzeligen Reptilien – alles wirkt, als wäre die Evolution vor Millionen von Jahren angehalten worden.

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Meeresechsen sind friedfertige Vegetarier

Doch schon bald werden wir in die Gegenwart zurückgeholt. In der Charles-Darwin-Forschungsstation erfahren wir, dass mit „Lonesome George“ im vergangenen Jahr der letzte Vertreter der Riesenschildkröten-Unterart „Geochelone nigra abingdoni“ verstorben ist. George erlag aller Wahrscheinlichkeit einem Herzversagen, im zarten Riesenschildkrötenalter von etwa 100 Jahren.

Alle Versuche, George zur Fortpflanzung zu animieren, waren fehlgeschlagen. Vielleicht wollte er einfach keine Zuchtmaschine sein, vielleicht mangelte es ihm aber auch an Ruhe. Von überall waren die Besucher auf die entlegene Inselgruppe im Pazifik gekommen, um den Superstar der Darwin-Station zu bewundern, die weltweite Ikone für Naturschutz, den Hoffnungsträger für den Erhalt der Artenvielfalt. Wer kann diese Bürde schon dauerhaft schleppen, selbst wenn er ein 90 Kilo schwerer Brocken mit Megapanzer ist? George hielt immerhin 40 Jahre durch. Anfang der siebziger Jahre war er auf der Insel Pinta eingesammelt worden.

Früher soll es auf dem Galapagos-Archipel mehrere Hunderttausend Riesenschildkröten gegeben haben. Doch dann wurde ihnen die Nahrung durch eingeschleppte Nutztiere streitig gemacht. Und es kam noch schlimmer: Seefahrer bunkerten die Kolosse im 18. und 19. Jahrhundert als lebende Fleischkonserven auf ihren Schiffen. Schildkröten können monatelang ohne Futter und Wasser ausharren – welch praktischer Proviant. Am Ende waren nur noch rund 3.000 Exemplare übrig. Dank Schutzprogrammen gibt es inzwischen wieder mehr als 20.000 Riesenschildkröten auf Galapagos.

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Der Bestand an Riesenschildkröten ist wieder gewachsen.

Den Menschen ist längst klar geworden, dass sie ihren Schatz hüten müssen, wenn sie wollen, dass weiterhin Touristen kommen. Auf der ecuadorianischen Inselgruppe, die im 20. Jahrhundert als Strafkolonie und US-amerikanischer Militärstützpunkt genutzt wurde, gibt es fast nichts, das sich zu Dollars machen lässt, weswegen der Fremdenverkehr extrem wichtig ist. Er hat dazu geführt, dass das Pro-Kopf-Einkommen auf Galapagos höher und die Kriminalität geringer ist als in allen anderen Provinzen Ecuadors.

Doch erst als die Unesco das Weltnaturerbe vor sechs Jahren auf die Rote Liste setzte, wurden deutliche Maßnahmen ergriffen. Seitdem dürfen die Touristenschiffe nur noch in begrenzter Zahl auf streng vorgegebenen Routen um die 13 Hauptinseln und mehr als 100 Inselchen kreuzen. Aus dem Tourismusministerium heißt es, dass auch an Land kaum noch Expansion möglich sei, weil fast die gesamte Inselfläche unter Naturschutz steht. Baugenehmigungen für neue Hotels gestalteten sich deshalb schwierig. Dennoch wurde mit 185.000 Besuchern zuletzt ein neuer Rekord erreicht – und damit eine nächste Stufe des Konflikts, dass der Tourismus sowohl Fluch als auch Segen für Galapagos ist.

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Riesenschildkröten in der Darwin-Forschungsstation

Immerhin gibt es selbst im Hauptort Puerto Ayora, in dem sich etwa die Hälfte der 109 Galapagos-Unterkünfte befinden, keine Bettenburgen. Die Hauptstraße ist gesäumt von kleinen Hotels, Backpacker-Absteigen, Souvenirshops, Restaurants und dem einzigen Supermarkt des Archipels. Am Abend finden sich auch die Einheimischen zum Basketballspielen, Speisen, Schwatzen und Schauen ein.

Im Zuge des „Turismo Consciente“-Plans der ecuadorianischen Regierung sind die Unternehmen auf Galapagos dazu angehalten, auf einen umweltschonenden Betrieb umzustellen. Als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sieht sich das Finch Bay Eco Hotel auf Santa Cruz. In dem Luxus-Resort wird das Abwasser für die Pflanzenbewässerung aufbereitet, es gibt Solarzellen, eine Entsalzungsanlage und wieder auffüllbare Flaschen auf den Zimmern zur Reduzierung von Plastikmüll.

Ginge es nach Sergio, müsste noch mehr in den Schutz der Inseln investiert werden. Die Mittel reichten nicht aus, um die Probleme zu lösen, angefangen bei der Trinkwasserknappheit über die Abwasser- und Müllentsorgung bis zur Bedrohung den Schäden durch wilde Hunde, Schweine und Katzen. „Viele Projekte bleiben unvollendet“, kritisiert der Naturführer. Wären alle so umsichtig wie er, bräuchte es weder die Sonderkontrollen am Flughafen, damit nichts eingeschleppt und ausgeführt wird, noch den Verhaltensleitfaden, den jeder Tourist mit dem Nationalpark-Ticket erhält. Darin wird darauf hingewiesen, dass einige Schutzzonen nur mit lizenzierten Parkführern betreten werden dürfen. Wer die Regeln überschreitet, zum Beispiel indem er sich zu dicht an die Tiere heranpirscht, erntet von Sergio ein Augenfunkeln, das so wild ist wie sein Haar- und Bartwuchs.

Unsere Urzeit-Expedition führt uns weiter auf die Rancho Primicias, wo wir Riesenschildkröten gucken wollen. Wie überdimensionale Ostereier liegen die Giganten auf dem Gelände herum – immer dort zu finden, wo das Gras am saftigsten ist. Obwohl die Riesenschildkröten oft Besuch bekommen, starren sie uns an, als wären wir Außerirdische. Dabei sehen die Tiere mit ihrer ledernen Haut und den zerklüfteten Köpfen selbst aus wie E.T.

Und plötzlich entdecken wir auch das bekannteste Tier der Galapagos-Inseln: Darwin-Finken. Sie nutzen die Schildkrötenpanzer als Landebahn und Aussichtsplattform. Ohne Darwins Evolutionstheorie hätten es die Vögelchen gewiss nicht zu Weltruhm gebracht, sind sie doch die flatternde Unscheinbarkeit mit dem denkbar schmucklosesten Federkleid. Der Forscher bemerkte auf seiner Galapagos-Reise, dass die Finken je nach Insel verschieden waren, und schloss daraus, dass sich Arten ihrer Umgebung anpassen können.

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Unscheinbar und doch weltberühmt: ein Darwinfink
Fotos: pa

Niemand weiß, ob Lonesome George in freier Wildbahn mehr Wille zur Erhaltung seiner Art entfaltet hätte. Doch die Gefangenschaft und seine Rolle als umschwärmtes Fotomodell haben ihm kein langes Leben beschert. Er wird nun präpariert und soll demnächst wieder für Fotos zur Verfügung stehen. Mögen sich Naturschutz und Tourismus erfolgreich ausbalancieren, damit George niemals Gesellschaft von ausgestopften Meeresechsen erhält.

IN DEN ZOO DER URZEITTIERE
Informationen zu den Galapagos-Inseln gibt es auf der Seite des ecuadorianischen Tourismusministeriums unter http://ecuador.travel.

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