Schneekugeln mit Zwiebelturmkirchen, Pelzmützen, Bernsteinklunkerketten, Käppis mit Militärabzeichen und die berühmten Matroschkas: In den Andenkenshops am Katharinenpalast können Touristen sowohl für Sankt Petersburg typischen als auch weniger typischen Plunder erstehen. Als die reisekorrespondentin (dr) aus dem überfüllten Palast in den Park flüchtete, erblickte sie auf einer Bank eine Holzpuppe.
dr: Hallo Matroschka, warum stehst du denn hier draußen einsam und alleine herum anstatt bei den Holzpuppengruppen an den Souvenir-Ständen?
Matroschka (tippelt auf der Bank auf und ab): Meine Ableger brauchten dringend Auslauf. Sie hatten schon ganz ungeduldig gegen meinen Bauch geboxt.
dr: Soll das heißen, dass deine kleinen Matroschkas gerade alle irgendwo auf der Parkanlage tollen?
Matroschka: So ist es. Sie lieben es, in den Büschen Verstecken zu spielen, unten am Teich zu planschen oder auf dem Eis herumzuschlittern, je nach Jahreszeit. Der Schlossgarten ist aber auch ein ausgefallenes Prachtstück! Die langen Fluchten, die Terrassen, die weißen Skulpturen … Im Bassin spiegelt sich übrigens der Katharinenpalast mit all seinen goldenen Zwiebeltürmchen. Ein tolles Fotomotiv!
dr: Besteht nicht die Gefahr, dass deine süßen Kleinen von Touristen weggeschnappt werden? Seit die Rekonstruktion des Bernsteinzimmers besichtigt werden kann, kommen ja wahre Menschenmassen in den Katharinenpalast – mehr als drei Millionen jedes Jahr. Ich konnte eben echt nicht anders als aus dem Bienenstockgewimmel zu verschwinden. Auch wenn man ganz klar sagen muss, dass ein Sankt-Petersburg-Besuch ohne einen Abstecher hierher nicht vollständig ist. Nirgendwo sonst wird der Luxusalltag der Zaren so lebendig wie in den opulent ausstaffierten Palast-Etagen.
Matroschka: Das sehe ich auch so. Und nein, bisher ist meine Püppchenschar immer wieder vollzählig und unversehrt in meinen Bauch zurückgekehrt.
dr: Wie findest du denn das Bernsteinzimmer? Manche rühmen es ja als das achte Weltwunder. Mir gefallen viele andere Palasträume aber besser, wenn ich ehrlich bin. Zum Beispiel der lichtdurchflutete Ballsaal mit seiner wundervollen Deckenmalerei. Handwerklich gesehen ist das Bernsteinzimmer natürlich schon eine Sensation. Allein die Vorbereitungen anhand von Schwarz-weiß-Fotografien des Originals sollen angeblich ein Jahrzehnt gedauert haben …
Matroschka (verzieht das puppenhaft geschminkte Gesicht): Mein Geschmack ist das Bernsteinzimmer auch nicht unbedingt. Das viele Braun und Dunkelgelb wirkt etwas bieder.
dr: Nun ja, du siehst mit deinem formlosen Omablümchengewand und dem Kopftuch auch nicht gerade wie eine Mode-Queen aus Mailand aus … Glaubst du eigentlich, dass das echte Bernsteinzimmer noch irgendwo existiert?
Matroschka (wackelt mit dem Kopftuchkopf hin und her): Wer kann das schon wirklich wissen. Und ein bisschen Geheimniskrämerei ist schließlich auch immer vorteilhaft für die Vermarktung. Außerdem, was spielt es für eine Rolle: Das neue Bernsteinzimmer ist womöglich sogar noch schöner als das alte.
dr: Da könntest du Recht haben. Ich muss dann jetzt mal weiter. Pass gut auf deine Kleinen auf, denn mit leerem Bauch will dich bestimmt keiner mehr.
Matroschka (lächelt mit dem erdbeerroten Mündchen und klimpert begeistert mit den Spinnenbeinwimpern): Ach, das wäre auch kein Drama. Der Schlossgarten ist für mich der schönste Platz auf Erden.
dr: Hm, es ist vermutlich aber auch der einzige, den du kennst …





Fotos: pa