Vor der Shwedagon-Pagode in Yangon posieren junge Mönche geduldig mit Touristen aus aller Herren Länder. An der Kakku-Tempelanlage bei Taunggyi zückt ein Klosterbruder sein I-Pad und fragt die Besucher aus Europa, …
… ob er sich mit ihnen fotografieren kann. Selbst auf dem heiligen Mount Popa, auf dem die Myanmaren ihre Schutzgeister namens Nats verehren, werden die Fremden von den Einheimischen zum Fotoshooting gebeten.
Hatten die „DOs & DON’Ts for Tourists“ des myanmarischen Tourismusministeriums nicht daran appelliert, beim Fotografieren sehr behutsam vorzugehen, um die Menschen nicht zu beschämen? Ich war mir nicht sicher gewesen, an welcher Stelle das südostasiatische Land, das mit Siebenmeilenstiefeln durch den politischen, gesellschaftlichen und touristischen Wandel schreitet, gerade steht: wo zwischen Diktatur und Demokratie, Rückständigkeit und Fortschritt, Versunkenheit und Weltoffenheit, Demut und Punk. Deshalb hatte ich den Leitfaden, der in Cartoon-Form für ein achtsames Verhalten wirbt, von Anfang bis Ende studiert – und mit meinem Objektiv erst einmal keine Mönche fokussiert.
Doch dann begegneten mir fotografierfreudige und aufgeschlossene Menschen allerorten – Mönche, Pilger und Souvenir-Händler an den Pagoden, Fischer und Familien am Inle-See, Verkäufer und Käufer auf den Märkten, Greise, Jugendliche und Kinder auf den Straßen. Auch die Buddhas in den Tempeln ließen sich bereitwillig ablichten – manche mit Gleichmut, andere mit einem Lächeln. Eine Reise in Bildern, die mehr als Worte sagen kann, warum das Land in mein Herz fand.
Eine Buddhastatue in der Kuthodaw-Pagode in Mandalay, wo unsere Reise begann. Der Erleuchtete ist in Myanmar oftmals von blinkenden Neonlichtern umkränzt, was wohl als Symbol seiner Strahlkraft zu interpretieren ist. Auf Besucher aus Mitteleuropa mag die Beleuchtung ungefähr so ästhetisch wirken wie ein oller Spielautomat. Die Myanmaren finden’s aber schön und modern, denn Strom ist noch immer keine Selbstverständlichkeit. An manchen Tagen fällt er gleich mehrmals aus.
Gar nicht mehr so hinterwäldlerisch: die Souvenir-Händler, die in einem armen Land um jeden Kyat kämpfen. Sie sind bereits an allen strategisch wichtigen Sehenswürdigkeiten postiert und besitzen für myanmarische Verhältnisse überdurchschnittlich gute Fremdsprachenkenntnisse. Manche der Verkäufer sind penetrant, andere – wie diese Postkarten-Anbieterin in Mandalay – aber auch sehr charmant.
Wenn man in die Antlitze der Buddhafiguren schaut, ist das wie ein Déjà-Vu: Das stille Strahlen spiegelt sich vielfach in den Gesichtern der Myanmaren. In den meisten Tempeln (hier ein Buddha auf dem Mandalay Hill) bestehen keine Beschränkungen für Fotografen – allenfalls deswegen, um lichtempfindliches Kulturgut zu schonen. Betende oder meditierende Menschen sollte man selbstverständlich nicht mit Blitzlicht behelligen – Punkt 12 in den DOs & DON’Ts.
Dieser Pluderhosen- und T-Shirt-Händler am Tempelfeld von Bagan, unserer zweiten Station, spielte mit uns Hase und Igel: Wo unser Bus auch stoppte zwischen den Tausenden von rostroten, weißen und goldenen Tempeln, Pagoden und Stupas, er war schon da – mit einem verkaufstüchtigen Grinsen und neuer Ware.
Wer sich aus Myanmar lieber Kunsthandwerk mitbringen möchte, ist in den Lackwarenwerkstätten von Bagan richtig. Nach dem Auftragen des Lacks werden die Dosen, Kästchen, Armreifen und Vasen noch poliert, gefärbt und mit Ornamenten verziert.
In Nyaung Oo bei Bagan hatten wir Gelegenheit, das myanmarische Verkehrschaos und die Vielfalt der fahrbaren Untersätze zu bestaunen. Ochsenkarren, Pferdekutschen, Zweiräder, Dreiräder, rostige Pick-ups, mit Menschen und Material gnadenlos überladene Lastwagen und Busse holperten, stolperten und ächzten nach geheimnisvollen Regeln durch die Straßen. Viele Fahrzeuge haben das Steuer noch auf der rechten Seite, obwohl der Linksverkehr aus britischer Kolonialzeit schon seit 1970 abgeschafft ist.
Bei der Besteigung des Mount Popa, unsererem nächsten Stopp, wurden wir von Affen begleitet. Wenn sie sich nicht gerade lausten, an den Gaben der Gläubigen gütlich taten oder Turnübungen praktizierten, warfen sie sich gerne auch mal für uns in Pose.
Oben auf dem Gipfel hatten wir kaum die Schweißbäche gestoppt, die nach dem Erklimmen von 777 Treppenstufen bei Saunaklima sintflutartig flossen, da wurden wir auch schon von Pilgern zum Fotoshooting gebeten.
Schauen und beschaut werden: ein Bus unten im Dorf am Mount Popa. Touristen aus Europa scheinen hier noch eher selten zu sein – womöglich auch deswegen, weil der Aufstieg auf den Berg nicht gerade verlockend klingt. Man muss die Schuhe schon weit unten ausziehen und die mit Affenkot besprenkelten Stufen barfuß überwinden. Ist aber halb so schlimm, fanden wir. Auch sind uns die Klettermaxe nicht an den Hals gesprungen. Sie versuchten nur, unsere Taschen zu mopsen, als wir einen Moment lang nicht aufpassten, weil wir gerade die Aussicht genossen.
Danach setzten wir unseren Tempelbesichtigungsmarathon in Bagan fort. Im Manuha-Tempel baute sich dieser Goldgigant vor uns auf. Mich beeindruckte allerdings weniger seine breite Brust als seine Gelassenheit: Wie kann er diese Enge ertragen?
Noch mehr Bewunderung empfand ich für diesen über 40 Meter langen Buddha, der in einem Gewölbe an der Rückseite des Manuha-Tempels in liegender Position eingemauert ist. Die Füße muss er sogar anziehen, um in den Tunnel zu passen – welch Horrorvorstellung für alle tendenziellen Klaustrophobiker. Dicht von Mauerwerk umschlossene Buddhas seien typisch für die Mon-Architektur aus der frühen Bagan-Zeit des 11. Jahrhunderts, erfuhren wir.
Der Ananda-Tempel ist zweifelsfrei einer der schönsten von Bagan. In seinem Kern befinden sich vier jeweils neun Meter hohe Buddhafiguren für die vier Himmelsrichtungen. Bei dieser Statue ändert sich der Gesichtsausdruck mit der Distanz des Betrachters: Erst schaut der Erleuchtete gleichmütig, dann, wenn man zurücktritt, entwickelt er der Anflug eines Lächelns.
Von Bagan fuhren wir weiter nach Taunggyi, mit 80.000 Einwohnern die Hauptstadt des Shan-Staates. Hier entfaltet sich jeden Vormittag ein Wimmelbildmarktgewimmel – Stände mit Bergen von Kokosnüssen, Mangos, Bananen und Kohlköpfen, Blumen und Gewürzen, Fisch und Fleisch. Manche Händler unternahmen den Versuch, ihre Ware mit Fächern vor Fliegen und mit Schirmen gegen die Sonne zu schützen.
In den Straßen quetschen sich dicke Laster vorbei an Fahrradfahrern, Großfamilien, Frauen mit Einkäufen auf den Köpfen, Säcke schleppenden Männern, gebeugten Großmütterchen und punkigen Jugendlichen mit Totenkopf-Shirt, Schlabberhosen, Sneakers und verwuschelt gestylten Monchhichi-Frisuren. Bei den Erwachsenen ist immer noch die klassische Kleidung verbreitet: Longyis (Wickelröcke) und Flip-Flops aus Leder oder Bast.
Auch sie begegnete uns auf den Märkten: Aung San Suu Kyi, die myanmarische Nationalheldin, Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin. Ihr Konterfei blickte von Plakaten, Fotos, Postkarten, T-Shirts …
… und Kühlschrankmagneten. Noch vor gar nicht langer Zeit habe man nicht einmal ihren Namen aussprechen dürfen, erzählten uns die Leute.
Von Taunggyi rumpelten wir unserem nächsten Ziel entgegen – der Kakku-Pagode. Für die rund 40 Kilometer benötigten wir mit dem Bus fast zwei Stunden. Wie gut, dass wir diese junge Frau namens Shwe an Bord hatten, die uns währenddessen von ihrem Volk der Pa-O erzählte. Zum Beispiel, warum zur Tracht neben einem schwarzen Longyi auch ein bunter Turban gehört, der einen Drachenkopf symbolisieren soll. Die Pa-O gehen nämlich davon aus, von einem Drachenweibchen und einem Schamanen abzustammen. Etwa 1,5 Millionen der 60 Millionen Myanmaren gehören zu den Pa-O. Insgesamt zählt Myanmar acht Stämme und mehr als 130 ethnische Minderheiten.
Manchmal werden die Turbane auch aus chinesischen Badehandtüchern gewunden, hier zu sehen an der Kakku-Pagode. Die Anlage besteht aus mehr als 2.500 champignon- und steinpilzfarbenen Stupas. Schon die Tempelfelder von Bagan weckten die Assoziation, dass die Heiligtümer in Myanmar wie Pilze aus dem Boden schießen. Kein Wunder, denn ein tiefer buddhistischer Glaube bei fast 90 Prozent der Bevölkerung bereitet den Boden dafür. Außerdem gibt es in Myanmar noch einige Christen, Muslime und Anhänger indischer Religionen.
Hier möchte man Schwein sein: In Myanmar dürfen sich die Tiere in Geldscheinen suhlen, anstatt sie wie anderswo in den Bauch gestopft zu bekommen. Die Menschen versprechen sich vom Spenden offenbar größeres Glück als vom Sparen.
Unsere nächste Station: der Inle-See mit seinen schwimmenden Gärten, Pfahlhäuserdörfern und dem Volk der Inthas. Die Fischer haben eine spezielle Rudertechnik entwickelt, bei der sie ein Bein um das Paddel schlingen, so dass die Hände zum Reusenauswerfen freibleiben. Anders als die Buddhafiguren, die sich in ihren schattigen Tempeln einen makellosen Teint bewahren können, sind die Fischer Tag für Tag den extremen tropischen Temperaturen ausgesetzt, wovon die braunen Knittergesichter zeugen.
In Yangon, unserer Endstation, trafen wir an der unfassbar prachtvollen Shwedagon-Pagode diese Mönche mit Kameras und Smartphones. Glücklicherweise ist mit der modernen Technik an der bedeutendsten Sehenswürdigkeit Myanmars weder Hektik noch Getöse eingezogen.

Ganz im Gegenteil sogar. Während wir den goldenen, edelsteinbesetzten Koloss umrundeten, zusammen mit myanmarischen Schulklassen und Großfamilien, brav formierten Reisegruppen aus China, europäischen Touristen in Trekking-Kluft, murmelnden Mütterchen, schweigend schreitenden oder auch kommunikationsfreudigen Mönchen, erschien es uns, als hätte jemand den Zeitenlauf in den niedrigsten Gang geschaltet und die Geräuschkulisse um etliche Dezibel heruntergeregelt. Am lautesten war noch das Bimmeln der vielen Glockenspiele an den Stupa-Spitzen. Wenn Seligkeit einen Sound hat, dann diesen.
Danke für die wundervollen Eindrücke.