Schon zu Zeiten der Hanse war Bergen in Südnorwegen ein Umschlagplatz für Fisch. Damals, als es noch keine Viersternegefriertruhen und im Winter kaum Vitaminlieferanten gab, waren Stockfisch und Lebertran gefragt. Heute präsentiert sich der Fischmarkt am Hafen als Delikatessenladen mit exotisch gefleckten Fischen und Kaviarspezialitäten. Und mittendrin bietet das Norwegian Seafood Centre höchst appetitliche Shows.
Anders Isager könnte auch ein Quizshowmoderator, ein Seifenoperdarsteller oder der Frontmann einer Popband sein. Der junge Norweger hat strohblonde Haare, meerblaue Augen und die Gabe, dass er sofort die volle Aufmerksamkeit bekommt. Doch Anders spielt nicht im TV oder auf einem Festival. Seine Bühne ist das Norwegian Seafood Centre in Bergen. Sobald das Publikum mit einem Drink in den Rängen des Meeresfrüchtetheaters Platz genommen hat, beginnt der Show-Koch mit dem Kredenzen seiner Krabben-, Krebsfleisch- und Kaviarkreationen. Anders ist der Hauptakteur, die Nebenrollen sind mit – bereits kochfertig vorbereiteten – Tieren aus dem Meer besetzt.

Es ist ein kleines, aber lukullisches Lustspiel, das im neuen Seafood Centre in Bergen aufgeführt wird. Der unscheinbare, wenig anmutige Kastenbau liegt direkt neben dem Fischmarkt am Hafen der südnorwegischen Stadt. In der Hochsaison gehen hier täglich Tausende von Kreuzfahrtpassagieren an Land, um mit der Standseilbahn hinauf auf den 320 Meter hohen Hausberg Floien zu fahren, das unter Unesco-Schutz stehende Hanseviertel Bryggen zu durchstreifen und auf dem Fischmarkt ein Lachsbrötchen zu probieren. Deswegen gruppieren sich um die Auslagen mit Muscheln, Krabben und Kaviarkonserven längst auch Souvenirstände mit Rentierfellen, Elchsalami, Norwegerpullis und Trollen.

Die Fischmarktpreise sind selbst für norwegische Verhältnisse außergewöhnlich hoch, die Qualität hält nicht immer mit. Trotzdem lohnt sich der Blick auf die Meeresgetiervielfalt – auf gefleckte und gestreifte Fische, schillernde und schuppige, schlanke und schwabbelige. Auf schwarze Seeteufel mit spitzen Zähnen, fleischfarbene Shrimpsberge, sonnenbrandrote Makrelen und knallorange Königskrabbenscheren.



Im Seafood-Zentrum werden bei allen Kursen und Veranstaltungen ausschließlich Zutaten aus Norwegen verwendet. Anders arrangiert Lachshäppchen und pinkfarbenen Kaviar in schicken Schälchen. In einer Pfanne mit Butter brutzelt schon der nächste Gang unserer Meeresfrüchteverkostung. Ein köstlicher Duft zieht die Ränge herauf. Schwenken, wenden, schnippeln, drapieren, garnieren – bei Anders sieht alles kinderleicht aus. Sein Kollege demonstriert nebenbei, wie man einen Fisch in Windeseile perfekt aufschneidet, ausnimmt und zerlegt. Der nächste Gang macht die Runde durch die Reihen: irgendetwas mit Krabben und vielen Kräutern. Das Publikum im Meeresfrüchtetheater ist sich einig: köstlich. Verdammt köstlich.
Schon während der Hansezeit im Mittelalter war Bergen für seine Fischprodukte bekannt. Damals allerdings nicht für kreative Meeresfrüchte-Haute-Cuisine, sondern für getrockneten Stockfisch und Lebertran – begehrte Energie- und Vitaminlieferanten für die kargen Zeiten im Winter. Die Handelswaren lagerten im Bryggen-Viertel auf der Ostseite der Bucht Vagen. Heute werden in den rostroten, sonnengelben und weißen Holzhäusern Steinschmuck, Fellmützen und Angelutensilien verkauft. Weil das Viertel im Laufe der Jahrhunderte von mehreren Feuern heimgesucht wurde, sind fast alle Häuser jüngeren Rekonstruktionsdatums.

Dennoch ist ein Spaziergang durch die schmalen Gassen, vorbei an schiefen Speichern und Dachluken mit Lastenzügen, wie eine kleine Zeitreise, die erst endet, wenn die Yachten und Kreuzfahrtschiffe am Hafen in Sicht kommen. Bis zu fünf weiße Riesen können in Bergen gleichzeitig festmachen. Weiter draußen liegen bullige Versorgerschiffe für die Ölplattformen vor Anker. Dank des schwarzen Goldes ist Norwegen eines der reichsten Länder der Welt und steht im Human Development Index von 2013 auf Platz eins, nur anders als andere Ölstaaten brüstet sich das nordische Königreich nicht mit Prunk und Protz. Kaum jedenfalls. Denn am Hafen schaukeln viele schicke Yachten mit norwegischen Flaggen. Die Yachtbesitzer beäugen von ihren Decks die Touristen, und die Touristen beäugen die Yachtbesitzer.

Im Meeresfrüchtetheater geht die Vorstellung zu Ende. Während die letzten Tabletts mit weißen, delikaten Fischstückchen kreisen, referiert Anders mit Witz und Wissen über die besten Garmethoden und Gewürze. Das Seafood Centre möchte mit seinen Shows Touristen, Kinder, Jugendliche, ja eigentlich alle Menschen dazu anregen, mehr Fisch zu verzehren. Fisch aus Norwegen, versteht sich. Schließlich zählt das nordische Königreich zu den weltweit führenden Fischexporteuren und will das auch bleiben.

Fotos: pa
BERGEN UND DAS NORWEGIAN SEAFOOD CENTRE
Weitere Informationen zu Bergen gibt es unter www.visitbergen.com und zum Norwegian Seafood Centre unter www.sjomat.no/en/.