Fluffiges Brot aus Genzano, Trüffelsalami aus Nemi und goldener Weißwein aus Frascati – die Castelli Romani im Süden von Rom sind eine wahre Dolce-Vita-Hochburg. Eine Oldtimertour durch das Schlaraffenland, das schon bei den alten Römern für die Sommerfrische begehrt war.
Wenn man in brenzligen Situationen wirklich Blut und Wasser schwitzen würde, dann hätte mein weißes Shirt jetzt rote Flecken. Mit aller Kraft habe ich auf die Fußbremse getreten, dann die Handbremse herausgerissen, doch die Alfa Romeo Giulietta TI rollt. Langsam und unaufhaltsam. Zentimeter für Zentimeter. Im Rückspiegel wird der bürograue Fiat Cinquecento immer größer. Nicht mehr lange, und Giulietta wird das niedliche Blechgesicht zerknautschen.
Unser Oldtimer-Konvoi steht an einem Buckel irgendwo zwischen Grottaferrata und Genzano. Die Knutschkugeln haben schlapp gemacht. Erst der dottergelbe Fiat Cinquecento, dann der Autobianchi mit den kirschroten Sitzen. Meine Giulietta hat zwar kein PS-Problem, aber eindeutig ein anderes: Die ollen Bremsen können das Gewicht der alten Dame nicht halten. Aus dem Rückspiegel schaut mich der bürograue Fiat Cinquecento mit seinen Kulleraugen an. Was soll ich bloß machen?
Mein Faible für nostalgische Fahrzeuge hat mich dazu verführt, an einer Oldtimertour durch die Albaner Berge im Süden von Rom teilzunehmen. Ich hatte mir das sehr stilvoll ausgemalt, mit wohlproportionierten Fahrzeugen der sechziger und siebziger Jahre durch dieses kulturelle und kulinarische Schlaraffenland zu kreuzen – mit herzigen Knutschkugeln, gemütlichen Giulietta-Kutschen und chromblitzenden Cabrios. Was ich nicht bedacht hatte, war der italienische Verkehr und der Umstand, dass Oldtimer wie alte Menschen sind – sensibel, ein bisschen schrullig und nicht frei von Verschleißerscheinungen.

Wir hatten unsere Schlemmertour morgens in Frascati begonnen. Die Herbstsonne strahlte mit den blank polierten Blech-Beauties um die Wette. Meine Wahl war auf die antikweiße Giulietta gefallen, weil sie mir in dem Seniorenfuhrpark als eine der Rüstigeren erschien und nicht so angeberisch wirkte wie die Cabrios. Frascati wird auf Italo-Deutsch auch „Fresscati“ genannt, denn die Kleinstadt ist eine gnadenlose Dolce-Vita-Verführung. In den kopfsteingepflasterten Gassen reihen sich Eiscafés an Wurststände, Espresso-Bars an Weinhandlungen, Bäckereien mit Schmalzgebäck an Läden mit Oliven- und Käsespezialitäten.
Von Frascati hatten wir die Route in die waldigen Höhen genommen, und bis zu dem Buckel, an dem wir jetzt hängen, war auch alles gut gegangen. Giuliettas Hinterteil wird gleich den bürograuen Fiat Cinquecento knuffen. Ich habe keine Wahl und gebe Gas bis zum Anschlag. Giulietta heult empört auf. Ich sende ein Stoßgebet an irgendwen, dass mir niemand entgegenkommen möge, und überhole die Knutschkugeln.
Mit Hilfe der Experten des Oldtimer-Verleihers, die uns auf Vespas eskortieren, schaffen es schließlich auch die Winzlinge über den Berg und unsere Prozession zuckelt weiter Richtung Genzano – durch Platanenalleentunnel, vorbei an Weinbergen, Gehöften und silbrig-grünen Olivenhainen. Die Straße ist nun breiter und nicht mehr so hügelig. Giulietta schaukelt durch die Kurven und schnurrt zufrieden. Wie schön sie ist! Das filigrane Lenkrad, die spielzeugartigen Armaturen, überhaupt ihre Zerbrechlichkeit.

In Genzano, das für sein fluffiges und knuspriges Brot bekannt ist, besuchen wir die Bäckerei Forno a legna do Sergio in der Via Italo Belardi. Mir liegt zwar noch das Frühstück schwer im Magen, doch den holzofenfrischen Scheibchen, beträufelt mit goldgelbem Olivenöl, kann ich trotzdem nicht entsagen. Wie Frascati gehört Genzano zu den 16 Gemeinden in Latium, die sich als Castelli Romani vermarkten.


Schon bei den alten Römern war die Region ein beliebtes Ziel für die Sommerfrische. Cäsar, Cicero und Lukull besaßen hier oben Sommervillen, um der stickigen Großstadthitze zu entfliehen. Später taten es ihnen reiche Adelsfamilien und Kirchenvertreter gleich. Auch Goethe verweilte auf seiner Italien-Reise 1787 für einige Tage in Frascati und notierte: „Es ist ein Paradies.“

Unsere Oldtimerschlange kriecht weiter nach Castel Gandolfo hinauf. Oben verstehen wir, warum der Papst diesen Ort für seine Sommerresidenz auserkoren hat: Die Luft ist himmlisch und die Aussicht auf den mattsilbernen Lago di Albano göttlich. Wir kehren zum Mittagessen ins Ristorante Pagnanelli ein. Dort scheint man der Auffassung zu sein, dass wir von der langen Fahrt völlig ausgehungert sein müssen und bewirtet uns mit pompösen Pasta-Porchetta-Pecorino-Panna-Cotta-Portionen begleitet von Rot- und Weißweinen. Und weil jetzt sowieso schon alles egal ist, krönen wir die Völlerei mit Schmalzkringeln, Dessertwein und Grappa.
Danach fühle ich mich satt für die nächsten zehn Jahre, doch unsere italienischen Gastgeber haben noch mehr mit uns vor. Die nächste Schlemmerstation heißt Nemi, berühmt für Walderdbeer- und Wurstspezialitäten. Wie ein Postkartenidyll pappt die Ortschaft über dem Lago di Nemi, weit hinten am Horizont leuchtet ein schmaler Streifen Tyrrhenisches Meer. Die Nachmittagssonne hat alles mit Goldglasur übergossen, als wir uns in einem Café mit Blick auf den See niederlassen und einen Walderdbeerschlagsahnebecher löffeln. Beim Spaziergang durch die Schachtelgassen duftet die zweite Spezialität von Nemi aus den Läden: meterlange Ketten aus Trüffelsalami.



Zurück in Frascati wollen wir uns endlich auch dem kulturellen Erbe der Gegend widmen: den monumentalen Patriziervillen mit ihren kostbaren Fresken, den kunstvollen Wassertheatern und weitläufigen Gartenanlagen voller Zypressen und Steineichen. „Für die römischen Adelsfamilien waren die suburbanen Villen ein Mittel der Selbstdarstellung“, sagt Touristenführerin Susanne Hohwieler. Mit ihren schwarzen Haaren und dem signalroten Mantel wirkt die Doktorin der Kunstgeschichte italienisch, ursprünglich stammt sie jedoch aus Freiburg. Nicht alles, was wie jahrhundertealte Pracht aussehe, sei allerdings auch wirklich original, erzählt Hohwieler. Im Zweiten Weltkrieg wurde Frascati bei einem Luftangriff von US-Langstreckenbombern zu großen Teilen zerstört.
In den Schaufenstern der Pasticcerias hat inzwischen noch etwas ganz anderes unsere Aufmerksamkeit erregt: „Miss Frascati“, eine Teigpuppe mit kurvigen Playmate-Proportionen. Sie trägt nur einen kurzen Faltenrock und eine silberne Liebesperle in der Bauchnabelregion, so dass wir gar nicht anders können, als auf ihre anatomisch absonderliche Oberweite zu starren: Statt zwei Brüsten hat sie drei. Die weibliche Fülle symbolisiere die Fruchtbarkeit der Region, erfahren wir von einer Bäckersfrau. Zwei Brüste der Pupazza Frascatana spendeten Milch, die dritte Wein – jenes Erzeugnis also, für das Frascati über Italien hinaus bekannt ist.

Wie kann es denn aber sein, dass die Einheimischen bei solchen gehaltvollen Genüssen nicht wie Hefeteig auseinandergehen? „Ganz einfach“, sagt Hohwieler. „Wir verwenden nur Olivenöl und Schmalz, keine Butter.“ Ach, das ist es also!

Fotos: pa
SCHWELGEN WIE DIE ALTEN RÖMER
Informationen zur Region gibt es beim Fremdenverkehrsamt von Italien unter www.enit.de und unter www.prontocastelli.it. Übernachtungstipp: das Grand Hotel Villa Tuscolana (www.villatuscolana.eu). An klaren Tagen reicht der Blick bis Rom. Schlemmertipp: das Weingut Casal Pilozzo bei Frascati (www.casalpilozzo.it).
Wer möchte nach solch plastischer und lebendiger Beschreibung nicht in Ausblicken, Duft und Leckereien schwelgen?
Das hätte ich nicht besser formulieren können. Ein wirklich appetitlicher Artikel.
Ja, es grenzt schon an ein kleines Wunder, dass die Leute dort nicht alle Fußballbäuche mit sich rumschleppen.