Nie wieder will ich tagelang ohne Gepäck durch die tunesische Wüste …
… zockeln. Es war nicht das erste Mal und sollte auch nicht das letzte Mal bleiben auf meinen Reisen, dass mein Koffer einen anderen Flug nahm als ich. Einmal, am Flughafen von Turin, erreichte ich mit einem Spurt und pochendem Puls noch den Anschlussflug, mein Koffer aber nicht. Doch befand ich mich auf dem Heimweg, und schon am nächsten Morgen, just als ich das Haus verlassen wollte, stand da der Lufthansa-Bote mit dem Gepäck.
Ein großes Glück, denn damals gab es noch keine Digitalkameras und meine Filmröllchen, die ich furchtbar dringend für eine Express-Entwicklung brauchte, hielten sich in eben jenem Koffer auf. Seitdem transportiere ich alle Unterlagen und das gesamte technische Equipment nur noch im Handgepäck: Notizblock, USB-Sticks, Speicherkarten. Laptop, Kameras, Mobiltelefon. World-Adapter, Ladegeräte und den dazugehörigen Kabelwust. Die ganze Ungebundenheit des vernetzten Menschen.
Ein anderes Mal, auf dem Weg in die Dominikanische Republik, stieg mein Koffer schon bei einer Zwischenlandung in Puerto Plata im Norden der Insel aus, ich aber erst in Punta Cana im Osten. Bei einigen anderen Passagieren verhielt es sich genau umgekehrt: Ihr Gepäck hatte in Puerto Plata planmäßig die Maschine verlassen, sie selbst aber nicht. Am Gepäckförderband in Punta Cana gingen sie also leer aus, so wie ich. Es dauerte allerdings nur eine Nacht, bis auch mein Koffer an den Ort seiner Bestimmung gefunden hatte.
Noch ein anderes Mal stand ich auf einer Safari-Reise in Südafrika ohne Gepäck da – und somit ohne Trekking-Schuhe, Fernglas und Ladegerät für die Kamera, das sich entgegen aller guten Vorsätze doch in den Koffer verirrt hatte. Während sich in meinen Gedanken schon die Horrorvorstellung formierte, dass der Akku genau dann versagen könnte, wenn ein Prachtexemplar von Nashorn unseren Weg kreuzt, ein Löwe aus dem Gebüsch geschlendert kommt oder eine Elefantenherde mit tapsigen Babys ganz dicht an uns vorbeistampft, da fiel plötzlich doch noch mein Gepäck auf das Band – und mir ein kleiner Stein vom Herzen.
Nur diesmal, in Tunesien, lief es nicht so prima. Wir wollten auf eine Rundreise gehen. Richtung Süden. Quer durchs Land und durch die Wüste. Bis zur Bergoase Tamerza und nach Tozeur am Rande des Salzsees Chott el Djerid, dem größten Binnensalzmeer Nordafrikas, den Karl-May-Leser schon mit Kara Ben Nemsi durchritten und durchlitten haben. Endstation in den Ferienhotels auf der Halbinsel Djerba, Standortwechsel jeden Tag. Als in Tunis alle aus der Gruppe ihr Gepäck in Empfang genommen hatten, nur ich nicht, war ich noch frohen Mutes: Schon am nächsten Tag würde der Koffer nachkommen, hieß es von der Fluggesellschaft.
Das tat er dann auch. Er nahm vermutlich auch eine ähnliche Route wie ich. Vorbei an Kamelen, Oasen mit Dattelpalmen, Sand, Geröll und dorrigen Wüstenpflänzchen. Vorbei an Märkten mit Tier-, Kinder- und Karrenwirrwarr. Vorbei an der Filmkulisse der Weltraum-Saga „Star Wars“, die gottverlassen wie es gottverlassener nicht geht in der falbenfarbenen Einöde herumsteht wie auf einem lebewesenlosen Planeten. Nur tat der Koffer das immer einen Tag später als ich. Und er hat mich auf seiner Reise ganz sicher nicht so sehr vermisst wie ich ihn.
Erst am vorletzten Tag fanden wir wieder zueinander. Da hatte ich mich dann aber schon damit arrangiert, die Zähne mit den Fingern zu putzen, die langen Zottelhaare mit den Fingern zu kämmen (Zugriff auf Körperpflege-Kits, wie man sie heute in den besseren Hotels rund um den Globus vorfindet, hatte ich damals und dort nicht), die Unterwäsche mit der Hand zu waschen und mit dem Föhn zu trocknen, jeden Tag in die gleiche, staubige Jeans zu schlüpfen und den Spott der Mitreisenden („Mensch, hast du dich heute wieder in Schale geschmissen!“) mit der neuen Freiheit der Wahllosigkeit würdevoll zu erdulden. Als sich auf einem der Märkte die Gelegenheit bot, Kleidungsstücke im lokalen Look (farbenfroh und formlos) zu erstehen, ließ ich sie sogar ungenutzt vergehen.
Und so fiel das Wiedersehen mit dem Koffer schließlich gar nicht so inniglich aus, wie ich es mir zwischenzeitlich ausgemalt hatte: das Schwelgen in Zahnpasta, Wattestäbchen und frischen Socken. Trotzdem habe ich seitdem immer ein Zahnputz-Wäsche-Notfall-Set im Handgepäck, weil sich dann die Überraschung, wenn man sich am Kofferband mal wieder Runde um Runde vergeblich die Augen nach dem letzten Stückchen Zuhause ausschaut, ein wenig besser anfühlt.



Fotos: pa
Gelobt sei die Freiheit der Wahllosigkeit! Für eine Weltreise genügt doch genau die eine Zahnbürste.
Das wäre dann aber im besten Fall eine multifunktionale Zahnbürste à la James-Bond-Ausrüstung, mit der man auch Haare trocknen kann, Feuer anzünden, Wasser aufbereiten, fotografieren usw … Btw: Sind die tollen Bilder in der Kopfleiste eigentlich von dir? Sehen nicht so aus wie mit einer Zahnbürstenkamera aufgenommen … :-)
Kommt bestimmt noch, so eine Alleskönnerzahnbürste. Mit „Kopfleiste“ meinst du vermutlich den „Header“? Ja, die Fotos sind von mir – und nein, sie stammen nicht von einer Minikamera, sondern einer Nikon.
Witzig.
…vor allem wenn man es nicht selbst erlebt.