Ecuador, Nie wieder

Drahtseilakt im Regenwald


Schlagwort: , , , , .

Nie wieder will ich mit einer museumsreifen Seilbahn über einen Abgrund …

… rattern, der im Falle eines Falls nur ein Auffangnetz der Natur bereitgehalten hätte: die Kronen von Baumriesen.

Es war im Nordwesten von Ecuador. Wir wollten in den Naturpark Mindo-Nambillo gelangen, der als einer der artenreichsten der Welt gilt. Ein riesiges Schutzgebiet mit Andenwäldern, subtropischen Regenwäldern und Bergnebelwäldern auf mehreren Tausenden Metern Höhenunterschied. Ein mystisches Waldreich mit Nebelschleiern, Riesenfarnen, schäumenden Wasserfällen und regenschirmgroßen Mammutblättern auf den ersten Blick – und eine Arena, in der sich die Pflanzen einen erbitterten Kampf um Nährstoffe liefern, auf den zweiten: Lianen betreiben fiese Fesselspiele mit Palmen. Würgefeigen strangulieren ihre Wirte auf Gedeih und Verderb. Aufsitzerpflanzen wuchern wie fransige Ekzeme zwischen Astgabeln und in Baumkronen. Ein einziges Hängen und Würgen, Ringen und Schlingen, Zwirbeln und Zwingen. Eine grüne Hölle im wahrhaftigsten Sinne. Ein gigantischer Kabelsalat der Natur.

Vor unserer Fahrt mit der Rostbeulenseilbahn wusste ich das zum Glück noch nicht, denn es hätte mein Herzklopfen sicher noch weiter beschleunigt. Vielleicht wären die skrupellosen Schmarotzer ja plötzlich zu Fleischfressern mutiert, wenn sie uns in die Fänge bekommen hätten. Meine letzte Hoffnung, dass wir einen Absturz auf den Chlorophyllteppich lebend überstehen könnten, wäre perdu gewesen. Die TÜV-Prüfer wären wahrscheinlich schon beim Anblick des Gefährts in Ohnmacht gefallen, noch bevor sie die abenteuerliche Aufhängung näher gemustert hätten. Die Aussage des Seilbahnpersonals, dass hier alles den hiesigen Sicherheitsbestimmungen genüge, machte meine Knie nur noch gummigleicher.

Während ich noch mit mir rang, ob ich aus dem schwankenden Klapperkäfig nicht in letzter Sekunde wieder heraushüpfen sollte, setzten wir uns auch schon knirschend und quietschend in Bewegung, mitten hinein in die grüne Weite. 530 Meter bis zur Plattform auf der anderen Seite. Ein junger Mann von der Seilbahn begleitete uns – außen am Gestell hängend wie ein vollkommen angstbefreiter Akrobat.

Ich hoffte, dass alles ganz schnell vorbei sein würde, als wir auf halber Strecke über dem Abgrund plötzlich stehen blieben. Technischer Defekt, schoss es mir durch den Kopf, der Schweiß aus den Poren und das Adrenalin in die Blutbahnen. Nein, nur ein planmäßiger Aussichtsstopp. Meine Mitfahrer zückten die Kameras und fotografierten wie wild das 360-Grad-Regenwaldpanorama, den schier endlosen Blätterozean, dieses unglaublich saft- und kraftstrotzende Tohuwabohu der Natur. Unser Käfig geriet darüber merklich ins Wanken.

Ja, unser Drahtseilakt über dem Regenwald schien den anderen weniger Muffensausen zu bereiten als mir. Oder sie verbargen es perfekt. Ob sie mehr Risikofreude besaßen als ich oder weniger Fantasie? Ich sah uns zumindest gleich umkippen und kopfüber in den grünen Schlund stürzen, wenn nicht schon vorher das Seil reißen oder die Rolle vom Seil springen würde … Doch nichts davon passierte. Knirschend, quietschend und schwankend, aber wohlbehalten erreichten wir die andere Seite.

Und das, was wir dann erlebten, ließ mich den Schrecken schnell vergessen. Auf verschlungenen Pfaden, über glitschige Hängebrücken und durch grellgrüne Blättertunnel wanderten wir auf dem „Santuario de Cascadas“-Weg von einem heiligen Wasserfall zum nächsten, einer wildromantischer als der andere, vorbei an fleischigen Helikonienblütentrauben, Bromelien und Wildorchideen, an Kolibris, Schmetterlingen und Kapuzineraffen, an Aufsitzerpflanzen, die wie struppiges Lametta über den Ästen hingen, an Moosen, die sich wie feinste Häkeldecken über die Baumrinden zogen und an Flechten, die wie zottige Bärte von den Zweigen baumelten – mitten durch den wilden, triefenden, schwülheißen Dschungel, dessen Kreislauf hier, auf der Höhe des Äquators, kaum von Temperaturschwankungen bestimmt wird. Es gibt nur Perioden mit mehr oder weniger Regen.

Als wir an den Wasserfällen pausierten, um unsere Waden darin zu kühlen und die schweißigen Stirnen mit dem segensreichen Nass zu benetzen, hatte ich nur einen frommen Wunsch: dass wir auch die Rückfahrt mit der Rostbeulenseilbahn zurück nach Mindo heil überstehen würden. Es hat gewirkt.

Ecuador_Mindo_Seilbahn
Garantiert nicht TÜV-geprüft: die Seilbahn ins Waldschutzgebiet Mindo-Nambillo
Ecuador_Mindo_Seilbahn3
Die Fahrt führt mitten hinein in die grüne Hölle.
Ecuador_Schmetterling
Bewohner des Naturparks: bunt schillernde Schmetterlinge …
Ecuador_Kolibri
… und Kolibris
Ecuador_Naturpark_Mindo_Nambillo
Pfad zu den heiligen Wasserfällen
Fotos: pa