Nie wieder will ich Nein sagen müssen zu notleidenden Kindern, …
… die um eine Gabe betteln oder mir etwas verkaufen wollen. Das ist natürlich vollkommen illusorisch und eben die Schattenseite des Reisens durch manche Länder.
Lange habe ich überlegt, ob – und wenn ja, wie – ich die Begegnungen thematisieren soll, weil es mir schwierig erscheint, den richtigen Ton zu treffen. Ich habe mich schließlich dafür entschieden, weil man in Reisereportagen doch eher selten davon liest. Sollte ich mit meinen Schilderungen den Eindruck einer trotteligen Reisenden erwecken, die auch noch gar nicht in den allerärmsten der armen Länder unterwegs gewesen ist, würde ich das nicht so schlimm finden. Nur hoffentlich liest sich der Beitrag nicht wie das Rührstück einer selbstgefälligen Samariterin.
Ja, man weiß, dass es sein muss: abzulehnen, wenn die Kinder mit einem Lächeln, das jede Hochsommersonne in den Schatten stellt und grenzenloser ist als jede Unendlichkeit, ihre Waren präsentieren – Bilder, Knüpfbändchen, Steine, Blumengirlanden, was auch immer. Weiterzugehen, wenn sie mit Augen, die wie Sterne, Samt und Edelsteine glänzen, um Geld oder andere Geschenke flehen. Mit dem Kopf zu schütteln, wenn sie mit zartem Stimmchen und Blicken, die nichts als Seele sind, um Nahrung betteln.
Denn es verhält sich eben nicht so wie in jenen Moralgeschichten, in denen eine Gemeinschaft ein großes Fest feiern will und dafür jeder etwas Wein beisteuern möge, sich am Ende für die Sause aber nur reines Wasser im Fass befindet, weil alle dachten, dass sie sich ihre Spende sparen könnten. Nein, jeder Tropfen ist ein Mittel zur unmittelbaren Förderung von Kinderarbeit gegen die Hilfe zur Selbsthilfe.
Und doch schützt alle Theorie vor dem Alptraum nicht, wenn die Kinder bettelnd vor einem stehen. Nicht vor dem Schuldgefühl, selbst eigentlich in Saus und Braus zu leben, nicht vor dem furchtbar naiven Drang, alle Bonzen dieser Welt zu einer Zwangsreise verdonnern zu wollen – nach Lesotho, wo die Kinder bibbernd mit herausgestreckter Zunge um „Sweets“ bitten, auf die Kapverdeninsel Fogo, wo die Kinder im Straßenstaub Vulkangestein verkaufen statt auf der Schulbank zu sitzen, nach Myanmar, wo kleine Mädchen wie Schmetterlinge mit Bildern und Blütenketten um Touristen schwärmen – flötend, flirtend, flehend, immer und immer wieder. Nein, man wird nichts kaufen, um nicht die Karriere der Kinder als Souvenirhändler zu fördern. Nach Namibia, wo die Kinder übriggebliebene Picknickstullen samt Papier in den Mund stopfen, wenn man versäumt hat, die Brote vorher auszuwickeln, und man sie ihnen auch nur deswegen geben durfte, weil sie sich die Reste ohnehin aus den Mülltonnen gefischt hätten.
Es hilft absolut gar nichts, wenn man sich dann sagt, dass man schon etwas getan hat und auch künftig tun will – anderswo auf der Welt für ein Patenkind oder für den Aufbau von Schulen zu spenden, Sachen für Hilfstransporte mitzugeben, seinen eigenen Lebensstandard immer mal wieder auf Überflüssigkeiten zu überprüfen. Dass man versucht, keine Nahrung fortzuwerfen, selbst wenn es zunächst nur gegen das Empfinden von Abartigkeit und nicht der Umverteilung nützt. Laut einer jüngst veröffentlichten WWF-Studie landen in Deutschland jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll – fast 40 Prozent davon aus Privathaushalten.
Nein, es bleibt der grässliche Konflikt zwischen der Stimme der Vernunft und dem Impuls des Herzens, die Not der Kinder vielleicht für einen Moment zu lindern oder ihnen wenigstens eine kleine Freude zu bereiten. Wahrnehmen, aushalten, sich nicht erweichen lassen: Klingt sehr machbar, wenn man nicht gerade in die Sternenaugen schaut …
Finde ich gut für die Problematik zu sensibilisieren ohne dabei die „Moralapostelin“ zu markieren, die weiß, wie’s richtig geht, Von weißen Traumstränden usw. liest man oft genug, stimmt.