Die zentralspanische Region Kastilien-La Mancha ist als Schauplatz der Don-Quijote-Abenteuer bekannt. In den Souvenirshops von Toledo dreht sich daher fast alles um Miguel de Cervantes Möchtegernhelden. Als die reisekorrespondentin (dr) durch die Gassen streifte, begegnete ihr vor einem Geschäft eine lebensgroße Figur des „Ritters von der traurigen Gestalt“.
dr: Hola, du Don-Quijote-Kopie. Dein entsetzter Blick ist, mit Verlaub, ziemlich lächerlich. Jeder weiß, dass du dir deine Widersacher allesamt bloß zusammenfantasiert hast, um an ihnen als Held zu bestehen. Wie kann man denn bitteschön Windmühlen für Riesen halten, Rotwein mit Blut verwechseln und auf arglose Schafe losgehen, als wären sie eine bis unter die Zähne bewaffnete Armee?
Don-Quijote-Kopie (gestikuliert empört, dass die Rüstung scheppert): So etwas können nur Leute fragen, die ein kümmerliches Vorstellungsvermögen haben.
dr: Berufsbedingt halte ich mich lieber an Fakten. Für Touristen wurde eine Don-Quijote-Route ausgeschildert, obwohl sich nicht einmal die Orte deiner literarischen Pseudo-Kämpfe genau bestimmen lassen.
Don-Quijote-Kopie (schaut verklärt): Das spielt auch keine Rolle. Unsere Touristen wollen Windmühlen sehen, das Haus meiner Herzensdame Dulcinea besichtigen und ein Andenken erstehen. Das alles bekommen sie entlang der Strecke. Besonders beliebt sind Souvenirs, die mich mit angelegter Lanze auf meinem starken Schlachtross Rosinante zeigen …
dr: … das in der Roman-Wirklichkeit ein alter Klepper ist. Wenn du die Souvenirläden in Toledo siehst, wirst du da nicht neidisch? Manche sind wahre Rüstungskammern für Freizeitritter, vollgestopft mit glänzenden Schilden, Lanzen, Pistolen, Dolchen und Schwertern der Modelle „Julius Cäsar“, „Dschingis Khan“, „Napoleon“ … Du musstest ja mit einer rostzerfressenen Rüstung und einer mit Pappe zum Helm frisierten Haube losziehen.
Don-Quijote-Kopie (schaut stolz): Toledo ist bekannt für seine Stahlproduktion. Man sagt, das Wasser des Tajo härtet besonders gut.
dr: Trotzdem wurde die Stadt im Laufe der Jahrhunderte immer wieder eingenommen. Erst kamen die Römer, später die Westgoten, dann die Mauren und schließlich die Rückeroberungen durch die Spanier. Die wechselhafte Geschichte hat Toledo ein einzigartiges Gesicht verliehen.
Don-Quijote-Kopie (nickt begeistert, dass die Rüstung scheppert): Fürwahr! Toledo gilt als „Stadt der drei Kulturen“. Juden, Mauren und Christen haben bei uns lange Zeit friedlich zusammengelebt. Die Glaubensvielfalt hat Toledo großartige Schmuckstücke beschert – die mittelalterliche Synagoge Santa Maria la Blanca im jüdischen Viertel, die gotische Kathedrale Santa Maria, die Moschee Cristo de la Luz, die heute eine Kirche ist, die Kirche San Vicente im Mudejar-Stil der Mauren …
dr: Den Mauren ist es auch zu verdanken, dass Toledo zu einer Hochburg für Marzipan avancieren konnte.
Don-Quijote-Kopie: Ja, vermutlich hatten die Mauren das Marzipanrezept im Gepäck. Aber in Toledo wurde es erst perfektioniert. Das „Mazapan de Toledo“ ist noch weicher als euer berühmtes Lübecker Marzipan. Es wird vor dem Backen mit Eigelb bepinselt. Ich könnte die kleinen Laibe, Halbmonde und Zöpfe kiloweise in mich reinstopfen, nur würde sich dann mein Adoniskörper deformieren und irgendwann die Rüstung sprengen.
dr (verspürt nun ebenfalls großes Verlangen nach der süßen Mandelmasse): Du meinst, deine Spargeltarzanstatur könnte irgendwann die Rüstung ausfüllen? Wie auch immer, ich muss dann mal weiter, Marzipan-Mitbringsel besorgen. Adios.







Fotos: pa
Hübsche Idee, die Serie über „interaktive“ Souvenirs (informativ bis ironisch zu lesen). Unfassbar, mit welchem Krempel da in einigen Regionen Reibach gemacht wird, z.T. auch mit komplett „unauthentischem“.
Dankeschön für den ersten Teil. Und zum zweiten: Wohl wahr, es ist bizarr, wie wenig lokalen Bezug manche Souvenirs haben und welche Reiserouten sie mitunter nehmen, etwa von Asien in deutsche Touristenhochburgen und mit asiatischen Touristen zurück ins Land der Produktion. Hierzu sei noch angemerkt, dass die in diesem Blog vorgestellten „Mitbringsel“ vor allem nach ihrer Interview-Tauglichkeit ausgewählt werden, das heißt unter Vernachlässigung ökologischer Kriterien und Ansprüchen an Authentizität – davon abgesehen, dass Globalisierungserscheinungen in der Souvenirindustrie ja gewissermaßen auch authentisch sind.
Ich klugscheiße nur ungern. Doch wo ist bei den abgebildeten Revolvern die Trommel? ;-)
Dankeschön für den Hinweis. Die Stelle ist berichtigt.