Obstwiesen, Schlossparks und Weinberge mit Blick auf die Rhein-Neckar-Ebene: Der Blütenweg von Darmstadt nach Heidelberg ist ein einziger Garten Eden für Lustwandelnde. Wem das zu läppisch ist – kein Problem. Mit Abstechern zu Burgen lässt sich die Route auch schweißtreibender gestalten.
Warum der Auerbacher Höllberg mit seinem Namen nahelegt, dass sich hier irgendwo zwischen den Reben der Eingang zur Unterwelt verbergen könnte, erscheint an diesem elysischen Frühlingstag vollkommen rätselhaft. Angesichts der vor Arglosigkeit und Verträumtheit nur so strotzenden Szenerie möchte man viel eher an ein Märchenland als an Tod und Teufel denken. Teils gerade, teils in Schleifen führt der von Flieder, Zackenschötchen, Goldröschen und zartrosa blühenden Obstbäumen gesäumte Weg durch gepflegte Weingärten, die sich mal sanft, mal steil in die Rheinebene neigen. Ein laues Lüftchen streicht über die Anhöhe. Am Himmel schweben Wattewölkchen. Mit quälender Hitze, in der Sündige bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag schmoren, hat dieses wohltuende Wetterchen nicht das Geringste zu tun. Statt Dämonen oder sonstigen Scheusalen begegnet man lediglich Bienen, Schmetterlingen und ein paar harmlos wirkenden Wandersleuten. Nicht stechender Schwefelgestank benebelt die Sinne, sondern süßlicher Blumenduft. Und auch die idyllische Geräuschkulisse aus Summen und Sirren, Zwitschern und Zirpen assoziiert man keineswegs mit einem Ort der Verdammnis. Göttergipfel, Paradieshügel oder Himmelspforte wären darum weitaus passendere Bezeichnungen für dieses an der hessischen Bergstraße zwischen Zwingenberg und Auerbach befindliche Weinanbaugebiet, durch das es sich so prächtig promenieren lässt.
Wer önologisch bewandert ist, hat freilich sofort die Auflösung parat: Die Vokabel „Hölle“ kommt in vielen Weinbergsgemarkungen entweder als Simplex (z.B. Hochheimer Hölle) oder als Kompositum (z.B. Assmannshäuser Höllenberg) vor und verweist in diesem Zusammenhang nicht auf das Reich der ewigen Finsternis, sondern auf das althochdeutsche Wort „haldi“ (Abhang). Kennt man diese etymologische Erklärung, ergibt alles Sinn. Die Weinlage Auerbacher Höllberg erstreckt sich mit Terrassenweinbergen, Hanglagen und Plateaus über ein abschüssiges Terrain vom Auerbacher Schloss bis hinunter zum Luftkurort Auerbach. Hervorragende klimatische Bedingungen und eine große Bodenvielfalt sorgen dafür, dass auf der rund 23 Hektar großen Fläche alle möglichen Rebsorten gedeihen: Cabernet Sauvignon, Grauburgunder, Riesling, Scheurebe, Silvaner, Spätburgunder, St. Laurent, Weißburgunder. Ausdrucksvoll und dicht seien diese Weine, informiert eine Tafel am Wegesrand.
Jedes Jahr am 1. Mai, wenn zwischen Zwingenberg und Heppenheim die Bergsträßer Weinlagenwanderung stattfindet, kann man die regionalen Erzeugnisse direkt in den Weinbergen verkosten. Die Bergsträßer Jungwinzer richten für diese beliebte Veranstaltung entlang der etwa 20 Kilometer langen Strecke Probierstände mit Wein, Sekt und kleinen Speisen ein. Derlei Gaumenfreuden unterstreichen das Göttliche der Gegend natürlich noch einmal ungemein – vorausgesetzt, man stört sich nicht an den anderen feuchtfröhlich gestimmten Menschen, die an diesem Tag in Endloskarawanen über das Festgelände ziehen. Doch es kann schon reichen, sich ein wenig von der Hauptpartyzone zu entfernen. Mit etwas Glück findet man die Ruhe, um sich genüsslich seinem Getränk zu widmen und darüber in dem Tagtraum zu verlieren, diesen Garten Eden mit niemandem teilen zu müssen – nicht mit weinseligen Wanderern und erst recht nicht mit allen anderen, die sich deutlich früher hier tummelten: eventuell Adam und Eva, ganz sicher aber die Römer und Johann Wolfgang von Goethe mit ihrem untrüglichen Instinkt für die holdesten der holden Gefilde weit und breit.
Der Auerbacher Höllberg ist nur einer von etlichen paradiesischen Orten, die man passiert, wenn man auf dem 86 Kilometer langen „Blütenweg“ zwischen Darmstadt-Eberstadt und Wiesloch bei Heidelberg flaniert. Ja, eigentlich ist die gesamte Route ein einziges Wonneland, wenn man sich für Kulturlandschaften begeistern kann, in denen Weinberge, Wiesen, Fachwerkstädtchen, Parks, Burgen und Schlösser aufs Harmonischste arrangiert sind: nicht zu willkürlich, aber auch nicht zu akkurat. Man könnte fast meinen, dass der geomorphologischen Beschaffenheit rund um den Blütenweg ein riesiger Bauplan zugrunde liegt, der nichts anderes vorsieht als die drei Komponenten Weinanbau, Obstplantagen und Besiedelung zu einem möglichst wohlproportionierten Mosaik zu kombinieren.











Der Blütenweg wurde vom Odenwaldklub e.V. konzipiert und von diesem dermaßen gründlich markiert, dass man sich schon ziemlich anstrengen müsste, wenn man sich verirren wollte. Selbst wenn man seine ganze Aufmerksamkeit dem Liebreiz des Blütenwegs schenkt und dabei mal eine Kennzeichnung übersieht: Die nächste ist garantiert nicht weit. An allen Abzweigungen und oft auch dazwischen prangt das gelbe „B“ an Zäunen, Pfosten und Mauern, leuchtet von Schildern, Steinen und Stromkästen, blitzt zwischen Gestrüpp, Bäumen und Weinstöcken hervor. Und es gibt noch mehr Orientierungshilfen. Entscheidet man sich für die Laufrichtung von Nord nach Süd, dann befinden sich linkerhand stets die Westhänge des Odenwaldes und rechterhand der Rheingraben – durch Blüten, Blattwerk und Rebenreihen mal besser zu sehen, mal schlechter, aber eben immer mal wieder. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann sich zusätzlich mit GPS-Daten ausrüsten.
Zugegeben: Einige der Wegweiser sind verblichen, andere durch Kritzeleien verunziert und manche nicht mehr auf dem neuesten Stand. Trotzdem dürfte ein mangelhaftes Leitsystem wohl nicht der Grund dafür sein, dass der Blütenweg bisher auf das Zertifikat „Qualitätswege Wanderbares Deutschland“ verzichten muss. Das Gütesiegel ist so etwas wie der Goldstandard im hiesigen Wandertourismus und wird vom Deutschen Wanderverband an Wanderwege vergeben, die neun Kernkriterien erfüllen (z.B. naturnahe Wege, nutzerfreundliche Markierung, Erlebnispotenzial) und mit weiteren 23 Wahlkriterien aus den fünf Rubriken Wegeformat, Besucherlenkung, Natur, Kultur und Zivilisation punkten können (z.B. Haltestellen für ÖPNV/PKW, Rastmöglichkeiten, Anschluss an andere Wanderwege).
Der Blütenweg brilliert in allerlei Bereichen, angefangen bei der üppigen Beschilderung über eine exzellente Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Nahverkehr (parallel zur Strecke verkehrt im Stundentakt mit zahlreichen Zwischenhalten die Regionalbahn RB 68 von Frankfurt am Main nach Wiesloch-Walldorf) und einem Füllhorn an landschaftlichen und kulturellen und Sehenswürdigkeiten (der Blütenweg kreuzt oder tangiert sowohl mannigfaltige natur- oder menschengemachte Landschaftsformationen von wilden Wäldern bis zu akkurat gehegten Lustgärten als auch sämtliche der malerischen Ortschaften an der Bergstraße) bis zu einer vorzüglichen Vernetzung mit anderen Wanderwegen (der Blütenweg überschneidet sich unter anderem mit dem Alemannenweg, Burgensteig, Neckarsteig, Nibelungensteig und Weinlagenwanderweg). Im Hinblick auf „Abwechslung“, ein weiteres Kernkriterium für deutsche Qualitätswanderwege, lässt sich der Blütenweg ebenfalls nicht lumpen. Die Route führt vorbei an Wiesen, Hangterrassen, Trockenmauern, Felsabsätzen und Steinbrüchen, streift Naturschutzgebiete, blühende Vorgärten und geschichtsträchtige Parkanlagen, mäandert durch fachwerkgeschmückte Altstädte mit reihenweise „gefälligen Ortsszenen“ (ein Wahlkriterium aus der Sektion Kultur), wird mal zum Panoramaweg mit Aussichten bis zum Pfälzer Wald, mal zum schmalen Gras- oder Hohlweg durch Blättertunnel.
Insofern muss der Teufel irgendwo im Detail stecken. Denn der Deutsche Wanderverband meint es mit der Sicherung der Servicequalität schrecklich ernst und arbeitet akribisch nach seinem überaus präzisen Kriterienkatalog. Vielleicht erfüllt der Blütenweg nicht die Anforderung an die „eindrucksvollen Aussichten“, die der Wanderverband als „dauerhaft freies Blickfeld, mind. 45-Grad-Öffnung und 2.000 m Sichttiefe“ definiert und alle vier Kilometer mindestens einmal vorfinden will. Es stimmt. Auf dem Blütenweg ist vielfach der Ausblick – welch Überraschung – durch Blumen, Büsche und Bäume versperrt. Im Frühsommer verwandeln sich manche Passagen regelrecht in Chlorophyllgewölbe. Das kann man als Makel betrachten – oder als ein wundervolles Merkmal dieses Themenwegs. Vielleicht hat der Blütenweg nicht pro vier Kilometer mindestens ein Gasthaus vorzuweisen, das ab mittags und an fünf Tagen wöchentlich geöffnet ist, andernfalls wertet es der Wanderverband nämlich nicht. Wenn der Blütenweg in diesem Punkt versagen sollte, dann dürfte es an den falschen Betriebszeiten liegen, nicht an der Zahl der wahrlich reich gesäten Versorgungsstellen. Vielleicht bietet der Blütenweg nicht genügend „natürliche Stille“, worunter der Wanderverband die Abwesenheit von maschinen- und verkehrserzeugten Geräuschen versteht und diesen Zustand wiederum auf vier Kilometer bezogen mindestens 1.000 Meter am Stück wünscht. Tatsächlich grundiert je nach Richtung und Stärke des Windes das Rauschen der A5 den ansonsten naturgegebenen Lärm von Vögeln und Insekten. Vielleicht ist es schon die Autobahn an sich, die dem Blütenweg in der Kategorie „intensiv genutztes Umfeld“ entscheidende Abzüge einbringt, vielleicht sind es andere unansehnliche Zeichen der Zivilisation, die man allerdings nur schemenhaft am Horizont ausmachen kann: die Hochhäuserphalanx von Frankfurt, den Fernsehturm von Mannheim und das graue Heer der Ludwigshafener BASF-Schlote.
Vielleicht, und das erscheint am wahrscheinlichsten, besteht der Blütenweg aber auch aus zu vielen „Verbunddecken“ – asphaltierten oder betonierten Wegen, von denen der Wanderverband nicht mehr als 3.000 Meter am Stück und auf die Gesamtstrecke umgerechnet höchstens 20 Prozent akzeptiert. Man hat bereits angefangen, diesen Schönheitsfehler zu minimieren. Vor ein paar Jahren wurde der Abschnitt zwischen Dossenheim und Laudenbach vollständig überarbeitet und mit rund 20 Kilometern neuen Wegen ausgestattet, die durch freie Landschaft führen statt durch bebaute Gebiete wie die bisherige Strecke. Auch sonst ist man in diesem Teil der Bergstraße rührig. Um den besonderen Charakter der Gegend zu bewahren, haben die Gemeinden Laudenbach, Hemsbach, Weinheim, Hirschberg, Schriesheim und Dossenheim 2010 das Projekt „Blühende Bergstraße“ ins Leben gerufen. Denn immer mehr Gärten, Obstgrundstücke und Weinberge wurden aufgegeben und drohten zu verbuschen. Der Wald begann sich auszudehnen und buntblühende Biotope wie Magerrasen, Trockenmauern und Lössböschungen mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten wie Schlingnatter und Sommerwurz zu verdrängen. Jetzt sucht die Initiative über eine „Grundstücksbörse“ neue Besitzer und Besitzerinnen, die Lust darauf haben, einen Beitrag zum Naturschutz zu leisten, sich für den Erhalt und die Entwicklung der „Erholungslandschaft“ zu engagieren und sich lieber sinnstiftend in der Landschaftspflege auszupowern als im Fitness-Studio.
Vor 2000 Jahren, als die Römer die Schönheit der sonnenverwöhnten Bergstraße entdeckten, dürften zu viele Straßen oder Straßenbeläge kein Thema gewesen sein. Allerdings gab es damals auch einiges andere noch nicht, das heute positiv auf das Attraktivitätskonto des Blütenwegs einzahlt. Denn eben die Römer brachten hier den Handel in Schwung und infolgedessen Fortschritt und Wohlstand. Sie kultivierten auf den Hügeln die ersten Rebengärten, pflanzten Trauben, Pfirsiche und andere südländische Früchte und errichten Landgüter und Villen. Da ist es wenig verwunderlich, dass früher oder später irgendwer auf die Idee kam, den Landstrich als „Toskana Deutschlands“ zu preisen – eine werbewirksame Formel, die aber auch diverse andere deutsche Regionen (Breisgau – die „deutsche Toskana“, Kraichgau – die „badische Toskana“, Pfalz – „Toskana Deutschlands“, Weinsberger Tal – die „schwäbische Toskana“) für ihre Vermarktung bemühen. Die Bergstraße kann noch ein Zitat nachlegen, das den Anspruch auf den Ländervergleich untermauert. Kaiser Joseph II. soll auf der Reise zu seiner Krönung in Frankfurt über die Bergstraße gesagt haben: „Hier fängt Deutschland an, Italien zu werden.“ Kein Werk der Römer sind im Übrigen die adretten Ortskerne mit ihren von sorgsam sanierten Fachwerkfassaden flankierten Marktplätzen, auf denen Brunnen, Cafés und Eisdielen Dolce-Vita-Flair verströmen. Fast sämtliche Städte und Gemeinden stammen von den Franken, die sich ab dem 5. Jahrhundert an der Bergstraße ausbreiteten.
Einen Vorteil darf man den Asphaltwegen zugestehen: Sie gestalten das Spazierengehen auf dem Blütenweg äußerst angenehm. In Verbindung mit den topografischen Gegebenheiten kann die Route deshalb als perfekte Empfehlung für Lustwandelnde gelten – also jene Zielgruppe, die nicht gerne außer Puste und ins Schwitzen gerät, sondern lieber schlendert und genießt. Rund 1900 Höhenmeter kommen zusammen, wenn man alle Aufstiege des überwiegend in mittleren Hanglagen verlaufenden Blütenwegs addiert – weit mehr als das doppelte (4499 Höhenmeter) sind es bei dem teils streckengleichen Burgensteig, der auf 120 Kilometern allerdings rund 30 Burgen, Schlösser und Kultstätten einschließt und für diese meist schweißtreibenden Abstecher bis zu einer Höhe von 426 Metern (oberhalb der Thingstätte bei Heidelberg) eine sehr gute Kondition, gute Trittsicherheit und sogar alpine Erfahrungen voraussetzt. Die Extreme des Blütenwegs muten dagegen moderat an. Die höchste Erhebung befindet sich im Exotenwald von Weinheim (258 Meter), der tiefste Punkt in Bensheim (102 Meter).
Welcher Zeitpunkt im Jahr für den Besuch des Blütenwegs am besten ist, mag – wie so vieles – Geschmacksache sein. Goethes Tipp lautete klipp und klar: das Frühjahr. „Kommst du zur Zeit der Mandel-, Pfirsich- und Kirschblüte an die Bergstraße, fühlst du, dass das Paradies nicht schöner gewesen sein kann“, schwärmte der Dichter. Das milde Klima und nährstoffreiche Lössböden schaffen in dem „Frühlingsgarten Deutschlands“, wie ein weiterer Beiname der Bergstraße lautet, beste Bedingungen für einen Blütenzauber sondergleichen. Mitunter schon im Februar oder März, spätestens im April bedecken dichte Blütenteppiche aus Buschwindröschen und Lerchensporn die Hänge und eifern auf den Wiesen Mandel- und Obstbäume mit bauschigen Blütenkleidern um die Wette, als wären sie mit unzähligen Federboas umschlungen.
Eine Übersicht, wann sich welche Bäume in farbenfrohe Outfits werfen, bietet der „Blütenfinder“ des Tourismus Service Bergstraße. Den jährlichen Reigen eröffnet gemeinhin die Bittermandel Ende Februar, gefolgt von Mandeln (Mitte März), Forsythien und Magnolien (Mitte/Ende März), Steinobst (Mitte April) und Kernobst (Ende April). Im Herbst, wenn die Natur ihre in pastelligen Tönen wie Cremeweiß, Hellrosa und Zitronengelb gehaltenen Roben gegen solche in goldgelben, dunkelorangen und rostroten Nuancen eintauscht, ist der Blütenweg aber auch nicht zu verschmähen. Allerdings müsste man ihn zu dieser Jahreszeit korrekterweise in Früchteweg umbenennen, denn Äpfel, Kastanien, Nüsse, Trauben und viele andere gesunde Köstlichkeiten warten dann auf die Ernte. Obendrein verführen Festivitäten wie das „Bergsträßer Winzerfest“ in Bensheim (erstes Septemberwoche), die „Weinheimer Weintage- und Weinmeile“(erstes Oktoberwochenende) und der „Bergsträßer Weinherbst“ (Oktober und November) zu einem Aufenthalt in der Region.
Wenn man den Blütenweg, für den eine Gesamtgehzeit von 21 Stunden angegeben wird, mit sämtlichen größeren und kleineren Stationen vorstellen würde, dann hätte man einen Beitrag von epischer Breite. Deshalb soll sich dieses Porträt auf einige wenige Punkte beschränken. Wobei für eine solche Themenroute logischerweise generell die konfuzianische Weisheit gelten kann, dass bereits der Weg das Ziel ist, also jeder einzelne Meter durch die himmlische Landschaft zählt und nicht allein irgendwelche als Highlights deklarierten Attraktionen, deren Bedeutsamkeit ohnehin von individuellen Neigungen abhängt und damit vollends relativ ist. Die nachfolgende Selektion sehenswerter Orte und Abschnitte beruht gleichfalls auf rein subjektiven Faibles der Autorin und orientiert sich nicht an dem offiziellen Vorschlag, die Strecke in fünf Etappen zu erwandern.
Friedhof und Streuobstwiesen von Darmstadt-Eberstadt
Der Beginn des Blütenwegs im Darmstädter Stadtteil Eberstadt könnte unpassender nicht sein. Ausgerechnet neben dem Friedhof befindet sich der Einstieg zu dem Wanderweg, der sich doch thematisch dem blühenden und nicht dem vergehenden Leben widmet. Man würde deswegen gerne dafür plädieren, den Startpunkt in die Eberstädter Streuobstwiesen zu verlegen. Diese im Frühling mit bunter Blütenpracht und zu vielen Zeiten überdies mit Schafherden dekorierten Hügel wären ein ungleich stimmigerer Auftakt für den Blütenweg, den man doch mit Vitalität und nicht mit Verwesung verbindet, mit Frohmut statt Schwermut, mit Blütenflor statt Trauerflor.
Streuobstwiesen, deren Bezeichnung sich übrigens nicht von versprengt herumliegendem Fallobst herleitet, sondern von der Anordnung der Obstbäume, die wie zufällig verteilt in der Landschaft stehen und nicht in Reih und Glied wie bei moderner Monokultur, repräsentieren eine vorbildliche Symbiose von Landwirtschaft und Natur. Seit Jahrhunderten liefern Streuobstwiesen Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen und Quitten, die im Spätsommer und Herbst frisch und im Winter zu Marmeladen und Kompott eingekocht, zu Trockenfrüchten oder zu Wein verarbeitet einen essenziellen Ernährungsbaustein für den Menschen darstellen. Für Flora und Fauna wiederum bieten Streuobstwiesen ideale Bedingungen, um sich in großer Vielfalt zu vermehren. Leider mangelt es auch dem Eberstädter Streuobstwiesengebiet, das mit 50 Hektar zu den größten von Hessen zählt, schon seit Jahrzehnten an Grundstücksbesitzern und -besitzerinnen. Viele können ihr Eigentum aus Zeitmangel oder Altersgründen nicht mehr pflegen, und rentabel ist die Bewirtschaftung längst nicht mehr. In Eberstadt hat sich dankenswerterweise der Freundeskreis Eberstädter Streuobstwiesen gebildet, der sich stellvertretend um Beweidung, Entbuschung und Neupflanzung der Flächen kümmert.
Ein Argument spricht letztlich doch für das Losmarschieren vom Friedhof: Im Gegensatz zu den Streuobstwiesen ist er komfortabel und klimaschutzkonform direkt mit der Straßenbahn ab dem Darmstädter Hauptbahnhof (Linie 1, wochentags) oder der Innenstadt (Linie 6 und 8, täglich) zu erreichen. Wenn man sich im Frühling auf den Blütenweg begibt, mutet das Entrée auch gar nicht düster an. Schlehdornsträucher und Pflaumenbäume stehen zu dieser Jahreszeit Spalier mit strahlend weißen Blütenkleidern, die aussehen, als wären sie aus lauter Schneeflocken geschneidert. Diese Assoziation kann sogar annähernd Wirklichkeit werden – und zwar dann, wenn der April seinem Image als meteorologischer Scherzkeks entspricht. Als solcher garantiert der Monat mitnichten einen fließenden Übergang zwischen Winter und Frühjahr, wohl aber eine Wetterwundertüte voller Kapriolen aus dem Spektrum von Bade- bis zu Wintersportbedingungen. Schneedecken auf zarten Blütenblättern sind daher ein durchaus mögliches Szenario.
Man erhält bei dem Anblick eine Idee davon, dass der Blütenweg nicht nur im Frühling und Herbst, sondern auch im Winter den Besuch lohnen dürfte: wegen der Verwunschenheit, die verschneite Natur ganz grundsätzlich ausstrahlt, und wegen der Teilstrecken mit den wunderbaren Weitsichten, die jahreszeitenunabhängig existieren. Und was ist mit dem Sommer? Bei wolkenlosem Himmel und Sonnenschein sollte man sich zu dieser Jahreszeit auf jene Etappen des Blütenwegs beschränken, die durch Wälder mit schattenspendenden Blätterdächern führen. Denn der Vergleich mit Italien ist eben auch insofern nicht weit hergeholt, als die Hitze an der Bergstraße ähnlich erbarmungslose Ausmaße annehmen kann und an solchen Tagen eine ausgiebige Siesta klüger erscheint als ein Streifzug durch die freie Natur. Auf das erste Stück von Eberstadt in Richtung Malchen kann man sich getrost wagen. Wie riesige Sonnenschirme der Natur spannen die hochgewachsenen Buchen ihre Kronen über den Blütenweg.












Burg Frankenstein
Gleich hinter Eberstadt stellt sich zum ersten Mal die Frage: Möchte man auf dem Blütenweg gemütlich weiterschlendern oder seine Kraft in den Aufstieg zu einer Burg investieren, was für gewöhnlich zumindest mit einem fantastischen Ausblick belohnt wird, wenn sich schon das besuchte Bauwerk als kümmerlicher Überrest entpuppt. Unter den Burgen und Schlössern entlang oder oberhalb des Blütenwegs befinden sich Exemplare der unterschiedlichsten Stadien zwischen fast vollständigem Verfall und ambitionierter Rekonstruktion – angefangen bei kargen Ruinen, die kaum noch die längst vergangene Stattlichkeit der Festungsanlagen erahnen lassen, über geschmackvoll hergerichtete Gemäuer, die sich mit dezenter gastronomischer oder kultureller Bespielung als Wander- und Ausflugsziel positionieren, bis hin zu überrestaurierten Event-Stätten für Hochzeits-, Mittelalter- oder Halloween-Halligalli und historisierenden Neubauten, die an Disneyland-Architektur erinnern und viel zu makellos aussehen, um über ihr junges Alter hinwegtäuschen zu können.
Burg Frankenstein, die südöstlich von Eberstadt auf einem 370 Meter hohen Ausläufer des Langenbergs thront, ist auf jeden Fall besuchenswert. Sie präsentiert sich als gelungenes Gesamtpaket aus gepflegter Anlage mit Gebäudeteilen aus dem 13. bis 19. Jahrhundert, traumhafter Aussicht auf die oberrheinische Tiefebene, gutbürgerlicher Gastronomie und einem Terminkalender, in dem nicht nur Angstschweiß und Adrenalin garantierende Gruseldinner und Halloween-Partys stehen, bei denen buchstäblich die Hölle los ist, sondern auch kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Poetry Slam und Open-Air-Kino. Die Meinungen gehen auseinander, ob Burg Frankenstein, die ihren Namen von den einstigen Burgherren hat, wiederum Namensgeberin für das Monster des weltberühmten Schauerromans „Frankenstein“ der englischen Schriftstellerin Mary Shelleys war. Für die Vermarktung der Ruine als Horrorhochburg ist diese Behauptung gewiss eine super Sache.
Zwingenberg
An Zwingenberg führt kein Weg vorbei. Das war zu Gründungszeiten der ältesten Stadt an der hessischen Bergstraße tatsächlich mal so, worauf auch ihre Bezeichnung hinweist. Reisende mussten gezwungenermaßen das Ober- und Untertor von Zwingenberg durchqueren, da sie weder nach Westen (Sumpf und Auwald) noch nach Osten (Odenwald) ausweichen konnten. Heute besitzt dieser Satz insofern unverändert Gültigkeit, als die Stadt zu bezaubernd ist, um sie nicht genauer in Augenschein zu nehmen. Die steil am Hang gelegene, dörfliche Friedlichkeit ausstrahlende Oberstadt besteht aus entzückenden Minigassen mit lauter krummen und schiefen Fachwerkhäusern nebst kleinen und kleinsten Terrassen, Treppen und Nischen, die allesamt für irgendetwas genutzt zu werden scheinen – als Minisonnendeck, Minigrillplatz, lampengirlandengeschmückte Minipartyzone oder Minigarten mit Tulpen und Tomaten. In der Unterstadt mit altem Rathaus, Restaurants und Cafés ist das Milieu minimal urbaner. Der von Fachwerkhäusern umringte und mit einem großen Brunnen geschmückte Marktplatz besitzt für einen 7000-Einwohner-Ort jedoch recht imposante Ausmaße.
Auerbacher Schloss
Von Zwingenberg dauert es nicht mehr lange, bis man auf dem Blütenweg zu der eingangs erwähnten Weinlage namens Auerbacher Höllberg gelangt. Und wiederum kurz darauf wird man schon wieder zu einem Exkurs auf den Bergsträßer Burgensteig angestiftet. Weithin sichtbar zeichnet sich die zweitürmige Silhouette des Auerbacher Schlosses auf dem 346 Meter hohen Auerberg ab.In seiner ursprünglichen Funktion diente das im 13. Jahrhundert errichtete Bollwerk der Sicherung der Zwingenberger Zollstation. Heute ist die Burganlage mit ihrem mittelalterlichen Ritterrummel eine stark frequentierte Touristenattraktion. Dazwischen passierte viel Schreckliches. Der traurige Höhepunkt in der Geschichte des Auerbacher Schlosses fällt in die Zeit des Französisch-Niederländischen Krieges im 17. Jahrhundert. Auf dem Weg ins Feindesland richteten französische Truppen in der Festung ein Massaker unter den dort Schutz suchenden Menschen an und steckten alles in Brand. Erst 250 Jahre später erweckte die Hessische Landesregierung die Ruine mit Restaurierungs- und Denkmalpflegearbeiten aus ihrem tiefen Dornröschenschlaf. Mittlerweile tobt in den Gemäuern wieder das Leben. Von der Walpurgisnacht mit Bankett und Hexentänzen über fackelbeleuchtete Freiluftgelage im Schlosshof inklusive Heroldmoderator, Gauklergaudi und Ritterprüfungen bis zum Halloween-Rittermahl mit Giftproben und Feuershow reicht das jährliche Event-Programm. Das Gästegedränge, das Mittelaltergedöns und die eher fleischlastige Speisekarte der Erlebnisgastronomie machen den Besuch des Auerbacher Schlosses nicht unbedingt notwendig. Doch auf der sensationellen Aussichtsterrasse muss man wenigstens mal kurz Platz genommen haben – vorausgesetzt, man findet bei dem Ansturm einen freien.
Staatspark Fürstenlager
Der beim Bensheimer Stadtteil Auerbach gelegene Staatspark Fürstenlager ist ein triftiger Grund, den Blütenweg abermals zu verlassen. Die letzten Meter durch eine prachtvolle Platanenallee sind ein adäquater Auftakt für das, was sich gleich darauf auftut: der 46 Hektar umfassende zweitgrößte Staatspark von Hessen mit einem dorfartigen Ensemble aus Bauwerken im klassizistischen Stil eingebettet in ein landschaftsarchitektonisches Gesamtkunstwerk sondergleichen. Die um 1790 nach dem Vorbild englischer Landschaftsgärten komponierte Sommerresidenz der Landgrafen und Großherzöge von Hessen-Darmstadt mutet mit ihren fließenden Grenzen zwischen Gartenanlage und freier Landschaft, der tadellosen Gepflegtheit und der poetischen Ausstrahlung derart formvollendet an, dass man der Illusion verfallen kann, durch ein Gemälde mit idealisierter Landschaft zu wandeln. Über verschlungene Pfade wurde das Umland aus Äckern, Streuobstwiesen, Weinbergen und hainartigen Waldpartien mit dem Parkgelände verbunden und dieses nach und nach mit Gebäuden, exotischen Pflanzen und dekorativen Elementen wie Altären, Teichen und einer Grotte bestückt. Heute verfügt der Staatspark Fürstenlager über mehr als 30 Sehenswürdigkeiten – herrschaftliche Häuser und Zweckbauten, Gartentempel und Gedenksteine, Brunnen, Brücken und kostbaren Pflanzenschmuck wie dunkel blühende Magnolien, Gingkobäume, Sumpfzypressen, japanische Sicheltannen und einen der ältesten Riesenmammutbäume Deutschlands.
Kirchberghäuschen
Schlendert man zurück auf dem Blütenweg weiter in Richtung Bensheim, ist der nächste Anreiz für einen Schlenker nicht fern. Auf dem Gipfel des 220 Meter hohen Kirchbergs lockt zwischen Weinreben das tempelähnliche Kirchberghäuschen. Es wurde 1857 im Auftrag der Bensheimer Stadträte als Lustschlösschen errichtet und ist heute ein gefragtes Ausflugslokal mit hessisch-rustikaler Küche, regionalen Weinen und großartigem Blick auf Bensheim und noch viel weiter. Wenn man antizyklisch zu den touristischen Stoßzeiten auf der Terrasse des Kirchberghäuschens eine Rast einlegt, dann kann die Atmosphäre höchst lauschig und entspannt sein, so dass man Gestern und Morgen vergisst und vollkommen im Moment ist. Man sollte sich den sagenhaft steilen Berg allerdings nur in dem Fall hochquälen, wenn vor dem Kirchberghäuschen die Fahne weht. Ansonsten wird man vor verschlossenen Türen stehen. Sollte diese Situation eintreten oder man sich die Strapazen des Umwegs ersparen wollen: Vom Kirchberg sind es nur noch wenige Gehminuten bis zur Altstadt von Bensheim mit einer Vielzahl weiterer Einkehrmöglichkeiten.











Bensheim
An Selbstbewusstsein scheint es Bensheim schon einmal nicht zu mangeln. Andernfalls würde sich die rund 40.000 Einwohner zählende Stadt kaum als „Herz der Bergstraße“ vermarkten. Geografisch gesehen kann man der Eigenwerbung zustimmen. Bensheim liegt ungefähr in der Mitte zwischen Darmstadt und Heidelberg. Auf symbolischer Ebene stellt sich jedoch die Frage, ob der Slogan wirklich angemessen oder nicht doch etwas zu dick aufgetragen ist. Denn wenn man zugrunde legt, dass das Herz für Liebe und Güte steht und womöglich auch die Seele beherbergt, dann ist die Konkurrenz durch andere herzige, seelenvolle oder pulsierende Orte entlang der Bergstraße beachtlich.
Ohne Zweifel hat Bensheim mehrere Schön- und Besonderheiten vorzuzeigen, auf die man sich etwas einbilden kann: den von schmucken Fachwerkhäusern eingefassten und von der neoromanisch-neoklassizistischen Pfarrkirche St. Georg bewachten Marktplatz, die Altstadt drumherum mit vielen weiteren stilvoll restaurierten Fachwerkbauten, darunter der um 1390 errichtete Walderdorffer Hof in der Obergasse als ältestes Fachwerkhaus von Südhessen, den Rodensteiner Hof, ein auch als „Bensheimer Schloss“ titulierter alter Adelshof mit weitläufiger Parkanlage, eine Blütenkönigin, die bereits seit 1948 in der Stadt gekürt wird, und einen Erlebnispfad namens „Wein und Stein“, der zwischen den Weinlagen „Bensheimer Paulus“ und „Heppenheimer Steinkopf“ mit 77 Stationen wie „Aus die Laus“, „Aroma-Bar“ und „Vino-Kino im Holzfass“ über Wein, Geologie, Klima, Geschichte, Lebenskultur, Flora und Fauna informiert. Die 6,9 Kilometer lange Strecke säumen Pfirsich- Mandel- und Feigenbäume, Tafeln, Schaukästen, Weinfässer, Kunstwerke und Ruhebänke mit Panoramablick über fünf deutsche Weinbaugebiete.
Heppenheim
In Heppenheim sollte man am besten einige Stunden vor Einbruch der Dunkelheit eintreffen. Bei dieser Planung kann man in aller Ruhe durch die Altstadtgassen voller liebevoll hergerichteter Fachwerkhäuser streifen, die im Volksmund auch als „Dom der Bergstraße“ bezeichnete neugotische Pfarrkirche St.-Peter bewundern, einen Blick ins Museum für Stadtgeschichte und Volkskunde werfen, auf dem mittelalterlichen Markplatz in einem gemütlichen Gasthof einkehren, bei ausgeprägtem Tatendrang vielleicht auch noch die Starkenburg auf dem 295 Meter hohen Schlossberg erklimmen und auf der Aussichtsterrasse der Burgschenke verweilen, um dann mit dem Einsetzen der Dämmerung auch noch Heppenheims Alleinstellungsmerkmal zu erleben: den Laternenweg.
Seit dem Hessentag 2004 leuchten in den Straßen rund um den Marktplatz mehr als 150 Laternen mit Scherenschnitten des nordhessischen Illustrators Albert Völkl. Das lässt sofort an eine romantische Stimmung denken. Schaut man sich die Laternen genauer an, dann erzeugen die gespenstischen Schattenbilder jedoch eher Gruselkabinettambiente. Sämtliche Motive stammen aus der umfangreichen hessischen Sagenwelt. Die geheimnisvollen, schauderhaften und komischen Geschichten handeln von einer magischen Puppe, die drohendes Unheil durch das Verlieren von Gliedmaßen ankündigte (Wetterau), von rasenden Riesen, die sich mit ungeheuerlich großen Felsbrocken bewarfen (Reichenbach), und von interessanten Methoden bei unerfülltem Kinderwunsch (Hoher Meißner): Als es bei einem bei Emschwede lebenden Holzfäller und dessen Frau nicht klappen wollte, ließ sich diese auf Rat von Frau Holle hin kopfüber in deren Teich hängen – et voilà, ein Jahr später war das ersehnte Kindlein da. Man kann die beschilderten Straßenlaternen entweder individuell erkunden oder sich in den Sommermonaten öffentlichen Führungen anschließen, bei denen mittelalterlich gekleidete Gestalten mit Petroleumlampe durch die Gassen geleiten und ausgewählte Erzählungen in Balladenform darbieten.













Weinheim
Den Blütenweg zu skizzieren ohne Weinheim zu erwähnen, das wäre schon ein mindestens mittelschweres Vergehen. Denn im Hinblick auf die Blütenthematik kann die 45.000-Einwohner-Stadt mit ihrer als „Grüne Meile“ beworbenen Parkpracht alle anderen Gemeinden entlang der Route ausstechen. Weinheim zählt insgesamt sieben Anlagen, in denen es viele Monate im Jahr grünt und blüht, was das Zeug hält. Ästhetik und Eleganz zeichnen den im Stil eines englischen Gartens angelegten Schlosspark mit Heilkräutergarten und der größten Zeder Deutschlands aus, Weitläufigkeit und sauerstoffreiche Luft den 60 Hektar großen Exotenwald mit 140 Baumarten aus aller Welt, Blumenvielfalt und Farbenfülle den Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof mit über 2000 Staudensorten und seltenen Gehölzen, Historie und Denkmäler den Stadtgarten, Ruhe und rund 170 Jahre alte Platanen den Alten Friedhof, eine Allee aus Zierkirschen den ehemals privaten Hagandarpark und Blütenreichtum und Duft die ehrenamtlich gehegte Rosenanlage mit über 1000 Rosenpflanzen von 40 verschiedenen Arten.
Seit man in Weinheim bei der Streckenführung des Blütenwegs zugunsten von mehr Blattgrün und weniger Straßengrau nachjustiert hat, kann man zwischen zwei Varianten wählen: die eine Route widmet sich den gartenbaulichen Attraktionen, die andere setzt den Schwerpunkt auf die Altstadt. Am besten schaut man sich einfach alles nacheinander an. Der Marktplatz von Weinheim ist wie in den benachbarten Gemeinden ein Prachtexemplar der Fachwerkbaukunst, auf dem man in Cafés, Eisdielen und Restaurants vortrefflich dem süßen Leben nach mediterraner Art frönen kann. Wer nach dem Parkmarathon noch nicht genug hat: In Weinheim laden gleich zwei Burgen dazu ein, überschüssige Energie abzubauen. Burg Windeck ist allerdings aufgrund von geschlossenen Gesellschaften häufig nicht oder nur eingeschränkt zugänglich, und die im 20. Jahrhundert erbaute Wachenburg gaukelt lediglich vor, eine mittelalterliche Ritterburg zu sein. Für den herrlichen Blick auf die Rheinebene und den Odenwald rentiert sich das Hinaufsteigen allemal.
Schlossgarten von Heidelberg
In Heidelberg spart der Blütenweg die klassischen Sehenswürdigkeiten gänzlich aus. Die Strecke führt pragmatisch über die Theodor-Heuss-Brücke auf die andere Neckar-Seite und von dort schnurstracks in südliche Richtung, wo sich in Wiesloch das Ende des Blütenwegs befindet. Man möchte an dieser Stelle wieder einmal dringend dazu raten, die Themenroute vorübergehend zu verlassen und Kurs auf den Schlossgarten zu nehmen, dessen dazugehöriges Schloss übrigens den krönenden Abschluss des Burgensteigs bildet. Inhaltlich passt der Heidelberger Schlossgarten, der einmal als bedeutendster Renaissancegarten Deutschlands und manchen sogar als „achtes Weltwunder“ galt, fabelhaft ins Blütenweg-Programm. Dass die Parkanlage trotzdem nicht einbezogen wird, könnte mit der Asphalt- und Kopfsteinpflasterlastigkeit der Altstadt zusammenhängen. Wenn man vom Blütenweg auf den Philosophenweg wechselt und sich über die Karl-Theodor-Brücke auf das andere Flussufer begibt, führt der kürzeste Weg zum Schlossgarten durch die meist überfüllten Gassen der jährlich 13,9 Millionen Gäste anlockenden „Perle am Neckar“.
Bevor man sich durch das Gewimmel schlängelt, sollte man erst einmal den Philosophenweg in vollen Zügen genießen. Er verläuft am Südhang des Heiligenbergs durch eine der wärmsten Ecken Deutschlands und versammelt um sich herum zahlreiche exotische Pflanzen: japanische Wollmispel, amerikanische Zypresse, spanischen Ginster und portugiesische Kirsche, Zitronen, Bambus, Palmen und Pinien. Hat man sich daran sattgesehen, sollte man unbedingt auch noch die umwerfende Aussicht auf Heidelberg wahrnehmen. Es staffeln sich ansteigend hintereinander: der Neckar mit der Alten Brücke aus rotem Sandstein, die Altstadt, das Schloss und der mit fast 600 Metern höchste Berg des Odenwaldes, der Königsstuhl. Heidelberg-Stammgast Goethe schrieb vor 200 Jahren: „Die Stadt mit ihrer Lage und ihrer ganzen Umgebung hat, darf man sagen, etwas Ideales.“ Dieser Reklame des Poeten, dem man bald darauf als Bronzebüste auf der Scheffelterrasse im Schlossgarten begegnen wird, möchte man voll und ganz zustimmen.
Wenn man sich also durch den historischen Stadtkern winden muss, dann macht man eben das Beste daraus. Das bedeutet: einen Bogen um die Touristentraube am Brückenaffen neben dem Brückenturm zu schlagen und sich nicht bei Tätschel- oder Selfie-Sessions mit dem bronzenen Glücksbringer selbst zum Affen zu machen, nicht die überlaufenen Hauptgassen zu wählen, sondern besser ruhigere Seitengassen, keine Zeit zu verschwenden an den Plunderständen mit Plastikkuckucksuhren, schwarzrotgoldenen Bierkrügen mit Adlerrelief und Schneekugeln, in denen Glitzerflocken um das Heidelberger Schloss treiben, sondern lieber ausgiebig die barocken Sandsteinbauten der alten Universitätsstadt zu studieren, als die herausragendste Konstruktion die Heiliggeistkirche zu besichtigen und deren 208-stufigen Turm hochzusteigen, was mit einem fotogenen Altstadt-Schloss-Fluss-Panorama honoriert wird, und vielleicht in einem Café auf dem Kornmarkt noch eine Pause einzulegen, um sich für den Schlossgarten und das Heidelberger Schloss zu stärken. Denn wenn man schon einmal hier ist, kann man diese bei internationalen Touristen heiß begehrte Attraktion nicht einfach ignorieren.
Die Geschichte des Heidelberger Schlosses begann im 13. Jahrhundert vollkommen unglamourös als mittelalterliche Festung mit rein funktionaler Ausstattung wie Türmen, Kasematten und Wällen. Über die Jahrhunderte avancierte die Anlage jedoch Stück für Stück zum pompösen Aushängeschild für die Kurfürsten der Pfalz. Im 16. und 17. Jahrhundert konnte das Bauwerk in der Liga der prunkvollsten Schlösser Europas ganz oben mitspielen, bevor Kriege, Brände und Blitzschläge es zu einer Ruine formten, die laut Eigenwerbung heute immerhin als die berühmteste der Welt und als Inbegriff deutscher Romantik gilt. Lange Zeit mussten bei den Aufwertungsmaßnahmen des Schlosses ästhetische Aspekte hinter strategischen Erwägungen zurückstehen. Purer Luxus wie ein Lustgarten, der die Wehrkraft der Festung schwächen könnte, kam nicht infrage. Erst Kurfürst Friedrich V. gab 1616 den Startschuss für eine repräsentative Parkanlage. Er beauftragte den genialen Gartenarchitekten Salomon de Caus mit dem Mammutprojekt namens „Hortus Palatinus“ (Pfälzer Garten) – einem Gesamtkunstwerk aus geometrisch gegliederten Terrassen mit Treppenaufgängen, Lusthäuschen und Labyrinthen, Grotten, Wasserspielen und Skulpturen, kunstvollen Beeten, intimen Gartenkabinetten und „magischen Maschinen“, die mittels Wasserkraft wie von Geisterhand Figuren in Bewegung setzten. Doch schon zwei Jahre später brach der Dreißigjährige Krieg aus und führte zu Verwüstungen in der Kurpfalz. Die Arbeiten am Schlossgarten kamen zum Erliegen und das, was von den Entwürfen bis dahin umgesetzt worden war, verfiel allmählich mangels Pflege. Es folgte eine unrühmliche Zeit als Gemüsegarten, bis man im 18. Jahrhundert mit der Umwandlung des Areals in einen Barockgarten begann, der wiederum im 19. Jahrhundert nach dem Beispiel englischer Landschaftsgärten umgemodelt wurde.
Heute verweisen nur noch wenige Fragmente auf die einstige oder zumindest angestrebte Lustgartenopulenz. Man kann Säulenstümpfe von Grottengalerien, Reste von figurengeschmückten Portalen, rekonstruierte Ellipsentreppen von Gartenkabinetten und „Vater Rhein“ entdecken, der sich als Sandsteinskulptur in einem Wasserbassin ausstreckt. Nichts Geringeres als ein von Menschenhand geschaffenes irdisches Paradies sollte der Heidelberger Schlossgarten werden. Wie viel von diesen hochfliegenden Plänen realisiert werden konnte, ist nicht abschließend geklärt. Was sich aber mit Gewissheit sagen lässt: Auf den Terrassen der Parkanlage fühlt man sich dem Himmel ganz nah – besonders dann, wenn die Abendsonne die märchenhafte Aussicht auf das Schloss, die Stadt und das Neckartal orange-rot-violett untermalt.













DURCH WIESEN, WÄLDER UND WEINBERGE
Der Tourismus Service Bergstraße e.V. hat den Prospekt „Burgensteig und Blütenweg“ konzipiert, in dem der Blütenweg in fünf Etappen mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorgestellt wird. Zum Download der Broschüre geht es hier. Ergänzend ist eine „Erlebniskarte“ für die beiden Wanderwege verfügbar.
Wer dazu beitragen möchte, die Anziehungskraft des Blütenwegs immer noch weiter zu erhöhen, kann sich im Google Play Store die so genannte „Blütenweg-WohlfühlApp“ herunterladen und seinen Standort bewerten. Die Initiative „Blühende Bergstraße“ orientiert sich an diesen Bewertungen, um besonders reizvolle Stellen, aber auch solche mit Defiziten zu identifizieren.
Vielen Dank für den informativen Bericht. Wir wollten im September/Oktober den Blütenweg erkunden und überlegen ob das Frühjahr nicht vielleicht doch besser ist…
Sorry für die späte Antwort, ich habe den Kommentar eben erst gesehen. Solltet ihr es nicht sonderlich eilig haben, würde ich an eurer Stelle tatsächlich bis zum Frühjahr warten. Oder aber ihr besucht den Blütenweg zweimal, wenn es eure Zeit zulässt: einmal zur Früchtezeit im Herbst und einmal zur Blütezeit ab Februar/März.