Um gefährliche Tiere, riesige Pyramiden und spektakuläre Wasserfälle zu erleben, muss man nicht in die Ferne schweifen. Der Strongmanrun am Nürburgring bietet alle diese Abenteuer – und Karnevalsstimmung obendrein. Auch für Zuschauer lohnt sich der Trip in die Grüne Hölle: Sie können sich an den Kostümen der Läufer erfreuen und am Streckenrand ein wenig mitleiden. Am nächsten Wochenende ist es wieder soweit.
Ich habe noch nicht die 5-Kilometer-Marke passiert, da geht plötzlich gar nichts mehr. Vor mir hat sich eine breite Menschenwand gebildet, und von hinten fluten weitere Massen heran. Was ist da los? Ich hopse auf und ab, um etwas sehen zu können. Die meisten Läufer sind Männer und größer als ich. Schuld an dem Mega-Stau ist die „Schwarze Witwe“ – eines der bösartigsten, hinterlistigsten, demoralisierendsten und kräftezehrendsten Hindernisse auf dem Parcours des Strongmanrun 2012 am Nürburgring in der Eifel.
In diesem Jahr ist es mir nicht gelungen, einen Startplatz für den „größten und stärksten Hindernislauf der Welt“ zu ergattern. Seit der Premiere vor sieben Jahren hat das Event eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben und ist zuletzt binnen 99 Stunden ausgebucht gewesen. In Anlehnung an den Slogan des Hauptsponsors und Pastillenproduzenten Fisherman’s Friend „Sind sie zu stark, bist du zu schwach“ geht es beim Strongmanrun darum, eine Vielzahl von Hindernissen zu bezwingen – kletternd, schwimmend, robbend, rutschend und hangelnd.
Der Spaßlauf ist die Legitimation zum kollektiven Dreckigmachen und eine klare Absage an ein Leben im Energiesparmodus nach Empfehlung der Entschleunigungsratgeber. Beim Strongmanrun wird in den höchsten Gang geschaltet, bis die Knie blutig geschrammt, die Waden steinhart und die Schuhe unförmige Schlammbrocken sind. Hier werden die Kräfte nicht geschont und nur zu einem Zweck verpulvert: Die Läufer wollen ihren Körper spüren, das Echte, Rohe und Unbequeme, das aus dem Rolltreppenalltag gewichen ist. Die schlammigen Grenzerfahrungen sind die Gegenbewegung zu allem Maßpredigenden. Auch andernorts erfreuen sich derlei Matsch-Veranstaltungen großen Zulaufs, während die Teilnehmerzahlen klassischer Marathonläufe mehr oder minder stagnieren.

Bei den Strongmännern und Strongfrauen hat man es weder mit Irren, Masochisten oder Zielzeiten-Freaks zu tun, sondern mit einem ausgesprochen partywilligen Volk. Sportliches Miteinander und Karnevalsstimmung sind wichtiger als Bestleistungen. Das signalisieren schon die Kostüme. Da kriechen Wikinger in kompletter Kampfmontur mit Schild und Schwert durch enge Käfige, hangeln sich Perückenblondinen mit umgeschnallten Atombusen durch gigantische Netze, springen minimal bekleidete Strongmen in Borat-„Mankinis“ oder textilfreien Bodypainting-Trikots in eiskalte Becken und klettert ein Rotkäppchen mit Korb und Kopftuch einen Strohballenberg hinauf, um oben angekommen noch ein Tänzchen aufzuführen.
Der Strongmanrun ist der beste Beweis dafür, dass man gar nicht weit reisen muss, um ein unvergessliches Abenteuer zu erleben. Ich springe an der „Schwarzen Witwe“ weiter auf und ab, um nicht auszukühlen. Denn als ob die Organisatoren mit Petrus ein Komplott geschmiedet hätten, ist auch das Wetter oberfies: sieben Grad und dichte Nebelsuppe. Und das Anfang Mai. Ich habe ein luftiges Goldmariekostüm gewählt und schon ein Wasserhindernis durchqueren müssen. Der Stoff klebt nass und kalt am Körper. Meine Zähne beginnen zu klappern. Wann geht es endlich weiter? Um die Stimmung etwas zu heben, werfe ich eine Handvoll Goldkonfetti über den Pulk.

Eine gefühlte Stunde später bin ich endlich dran. Die „Schwarze Witwe“ entpuppt sich als ein Hindernis, bei dem man auf allen Vieren durch scheußlich riechenden und unglaublich zähen Schlamm kriechen muss – fünf schmale Käfige für 10.000 Läufer. Kein Wunder, dass sich davor alles klumpt. Als ich mich durch den Stinkematsch durchgeackert habe, wird mir einen Moment schwindelig. Vor mir liegen jetzt noch schlappe 17 Kilometer und etwa 25 Hindernisse …



Schon am Start hatte ich zu schlottern angefangen, weil es wegen der Nebelschwaden ewig nicht losging. Sicherheitsbestimmungen, angeblich. Trotz des Regens haben sich viele Zuschauer auf den Rängen und an der Strecke eingefunden. So viel wie heute ist am Nürburgring wahrscheinlich das ganze Jahr nicht los. Denn spätestens seit der Insolvenz im vergangenen Jahr ist klar: Das Projekt, die berühmte Rennstrecke zu einem Kurzreiseziel mit Freizeitpark und Feriendorf auszubauen, wurde mit Karacho gegen die Wand gefahren. Als wir auf dem Gelände ankamen, wähnte ich mich in einer Geisterstadt – grau, metallisch, aseptisch. Und es hätte mich nicht sonderlich gewundert, wenn über dem Millionengrab hagere Pleitegeier gekreist wären.

Wir dürfen heute dort rennen, wo normalerweise flunderflache Flitzer durch die Kurven donnern. Die meiste Zeit geht es aber um die Asphaltschleifen herum – durch Matsch, Sand und Rauchschwaden, über Kies, Wiesen und Strohballenwadenkiller. Die 35 Meter lange Riesenrutsche „Niagara Falls“ erkläre ich sofort zu meinem Lieblingshindernis – eine grandiose Rutschpartie. Der „Panic Pool“ hingegen wird mir beinahe zum Verhängnis: Das kalte Wasser schockt mich so sehr, dass mir die Luft wegbleibt. Ein Moormonster scheint mich für alle Ewigkeit in sein dunkles Reich hinabziehen zu wollen. Die DLRG-Posten kriegen nichts, dafür aber ein anderer Läufer, der mir Beistand leistet.
Überhaupt ist der Zusammenhalt auf der Strecke großartig: Wie ein Teppich aus helfenden Händen weben sich die Massen über Hindernisse wie die „Pyramids of Pain“ aus glitschigen Strohballen: Von unten wird geschoben, von oben gezogen. Und dann kommt das Reifenhindernis „Final Destination“. Das Gemeine daran: Es ist noch nicht die Endstation. Denn jetzt geht es auf Runde zwei – noch einmal 10,8 Kilometer, gespickt mit 15 Hindernissen …


Nach 3:22 Stunden passiere ich endlich die Ziellinie – schlammpaniert und mit leerem Konfettisäckchen, aber angefüllt mit Glückshormonen. Platz 3.037 von rund 9.300 Finishern. Aber das ist Nebensache. Was zählt, ist das Gefühl, Mensch zu sein. Neu geboren aus dem Kampf mit Erde, Feuer, Luft und Wasser.
LAUF DURCH DIE HÖLLE
Der Strongmanrun 2013 findet am kommenden Samstag, dem 4. Mai, auf dem Gelände des Nürburgrings statt. Start ist um 12 Uhr. Weitere Infos unter www.fishermansfriend.de/strongmanrun.