Wellenreiter, bronzebraune Sonnenanbeter und Familien beim Sandburgenbau: Soulac-sur-Mer an der französischen Atlantikküste ist auf den ersten Blick ein gewöhnlicher Ferienort. Als die reisekorrespondentin (dr) durch die Straßen streifte, entdeckte sie jedoch einige Besonderheiten – Schlösschen, eine uralte Wallfahrtskirche und einen Igelfisch, der zwischen Strandspielzeug und Seesternen in einem Souvenirshop baumelte.
dr: Salut, Igelfisch. Du siehst irgendwie paralysiert aus. Kannst du trotzdem sprechen?
Igelfisch: (starrt)
dr: Ich wundere mich, dass du hier in Soulac-sur-Mer herumhängst. Stammst du nicht aus tropischen Gewässern und wohnst am liebsten in Korallenriffen?
Igelfisch (seufzt): Ach ja, aber was spielt das noch für eine Rolle. Mein Schicksal ist besiegelt. Früher oder später wird mich jemand kaufen, der Gefallen an meiner – immerhin sehr speziellen – Hässlichkeit findet. Und dann werde ich in irgendeinem Nippesregal neben anderen Touristenbeutestücken verstauben.
dr: Das klingt ausweglos.
Igelfisch: Ist es auch. Man hat mich einfach so gefangen genommen und meine Stacheln aufgeblasen, was ich sonst nur in Gefahrensituationen zu tun pflege, damit ich nicht im Magen größerer Fische lande. Dann hat man mir Watte in den Bauch gestopft und Augen aufgeklebt. In diesem Zustand pendele ich nun schon seit Monaten in diesem Laden. Das ist so würdelos.
dr: Über Soulac-sur-Mer kannst du also nichts Gutes sagen?
Igelfisch: Gesehen habe ich nichts, aber einiges vernommen. Die Leute sind offenbar verblüfft, dass es in diesem 2.600-Einwohner-Kaff ein Gebäude gibt, das zum Weltkulturerbe der Unesco gehört – die Kirche Notre-Dame-de-la-Fin-des-Terres. Tatsächlich ist die Geschichte interessant: Schon im 12. Jahrhundert verrichteten die Pilger auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela in der Kirche ihr erstes Gebet an Land. Später legten die Hugenotten und eine große Sanddüne den Gottesdienstbetrieb lahm. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Kirche , von der nur noch der Turm aus dem Sand guckte, wieder ausgebuddelt. Das ist allerdings noch nicht alles in Soulac: Die Straßen sind voller Jahrhunderte alter Villen – Puppenstubenhäuser und Miniaturschlösschen mit Holzveranden, Giebeln und Türmen. Und dann gibt es ja auch noch das Meer. Den Duft nach Tang. Die Weite. Das silbrige Glitzern. Ich habe solche Sehnsucht danach. Kannst du mich hinbringen?
dr: Kann ich nicht, denn dazu müsste ich dich ja kaufen.
Igelfisch (versucht mit seinen aufgeklebten Augen einen Bettelblick): Ach, bitte. Wir könnten doch am Strand auch ein Foto-Shooting veranstalten, wie ich da einsam und heimatlos wie ein Stück Treibgut herumliege, und du verbreitest dann, dass wir Igelfische eine gefährdete Spezies sind und alle, die uns kaufen, einen Fehler begehen. So können wir vielleicht meine Artgenossen vor dem gleichen Schicksal bewahren.
dr: Hm, ich habe meine Zweifel, dass die Mitleidsmasche zieht. Aber probieren wir es.



Fotos: pa