Die Osterinsel ist einer der isoliertesten Flecken der Erde. Trotzdem reisen Touristen aus aller Welt dorthin, um die berühmten Moais zu bestaunen. Doch sind die mürrisch dreinschauenden Statuen die weite Reise wert? Eine Inspektion.
Auf den ersten Blick scheint es zu stimmen, dass die Osterinsel nur eine Attraktion besitzt: die enigmatischen Steinriesen. Steinige Küsten und schütteres Grasland prägen das gerade mal 24 Kilometer lange und 13 Kilometer breite Eiland, dieses Pünktchen in den Weiten des Südostpazifiks, 3.800 Kilometer von der chilenischen Küste und 4.200 Kilometer von Tahiti entfernt, umschäumt von blütenweißer Gischt, als hätte jemand lastwagenweise Waschpulver in den Ozean gekippt.

Ja, fast könnte man glauben, dass die Moais eigens dafür aufgestellt wurden, um Besucher an diesen allerletzten Außenposten der Zivilisation zu locken. Die Figuren aus Lapilli-Tuff thronen an den Küsten, glotzen halbfertig von Wiesen und liegen als bis zu 20 Meter langer Rohbau in Steinbrüchen. Nur über einen Arbeitsschritt der Massenproduktion klärt das Freilichtmuseum nicht auf: Wie wurden die tonnenschweren Kolosse vor Hunderten von Jahren an die Inselränder transportiert?

Und warum wurden viele Exemplare nicht fertig gestellt? Und warum wurden sie immer größer, immer liebloser aus den Hängen der Vulkane gehauen? Warum überhaupt? Von den Einheimischen und im Inselmuseum von Hanga Roa erfährt man von vielen Theorien: Gingen die Bäume für den Bau von Holzschlitten aus, um die Riesen an den Ort ihrer Bestimmung zu schaffen, wie der norwegische Forscher Thor Heyerdahl annahm? War es Mana, eine spirituelle Kraft, mit der die Moais an die Küsten marschierten, wie die Inselbewohner sagen?
War unter den Stämmen ein blinder Wettstreit ausgebrochen, wer den längsten Moai hat? Dienten die rötlichen Steinklötze, die manche Statuen auf dem Kopf tragen, dem bloßen Größengewinn – oder symbolisierten sie einen besondern Status, eine exzeptionelle Intelligenz? Am Ende ist nur eines gewiss: Die Moais dienten der Ahnenverehrung, als Bindeglied zwischen Diesseits und Jenseits, aber auch als Symbol der Macht.
Und wieder fragt man sich, ob die ganze Geheimniskrämerei nicht nur dafür gemacht ist, Touristen anzulocken. Bis man selbst ganz nah vor einer der meterhohen, verwitterten Figuren steht und die Fragen plötzlich verstummen. Es war, wie es war, sagen die schweigenden Riesen. Wahrscheinlich schrecklich, denn warum sonst fand James Cook auf seiner Expedition 1774 umgestürzte Skulpturen, eine geplünderte Natur und verwilderte Menschen, die sich wahrscheinlich sogar gegenseitig verspeisten, vor?

Und warum sonst könnte man heute grausig enge Höhlen besichtigen, von denen es heißt, dass darin Jungfrauen aufbewahrt wurden, damit sie schön bleich blieben für die Gewinner des Vogelmann-Titels? Für den Kult mussten sich die jungen Männer jedes Jahr im Frühling von den Klippen stürzen, die strömungsreiche Strecke zum Inselchen Motu Nui schwimmen, ein Ei der Rußseeschwalbe ergattern und unversehrt zurück zum Festland bringen.

Mehr als 1.000 Moais soll es auf der Osterinsel geben, und natürlich sind sie in ihrer Einzigartigkeit der Hauptgrund für die Reise. Dennoch hat Rapa Nui, wie die Insel bei den Einheimischen heißt, noch einige Zugaben zu bieten, derentwegen man etwas mehr Zeit einplanen sollte: Rano Kao, einen gigantischen Vulkankrater mit Süßwasserlagune, Steingravuren und dem rekonstruierten Zeremoniendorf Orongo. Einen Strand mit schwarzen Felsen, weißem Sand und blau-türkis changierendem Wasser. Wanderwege entlang von Steilküsten und durch außerirdisch bizarre Lavafelder. Eine Luft, die so frisch ist, wie sie zur Schöpfungsstunde der Erde gewesen sein muss. Und eine unendliche Ruhe, wie sie nur ein unendlich einsamer Ort wie dieser ausstrahlen kann.



Fotos: pa