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Göttliche Gaumenfreuden in der Heimat der Biere


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Süßholzbier aus Whiskey-Fässern, cremiges Roggenbier mit Nougat-Note und ein Gebräu, das speziell Frauen betören soll: In Oberfranken haben Traditionalisten und Tüftler ein Himmelreich der Biervielfalt geschaffen. Zur Audienz beim Bamberger „Bierpapst“, eine Landpartie ins Reich einer Bierfee und ein Abend in der Kulmbacher Kommunbräu, deren Wirt früher mit Punk-Bands unterwegs war.

Einen Schluck vom bernsteinfarbenen „Aecht Schlenkerla Eiche“ nehmen, das Doppelbockbier auf der Zunge zirkulieren lassen, dann ein Stück von der Praline probieren und das Spiel der Antagonisten genießen – rauchige, holzige Noten gegen die elegante Süße einer Vollmilchcanache mit Ceylonzimt, jamaikanischem Rum und Haselnüssen. Wahnsinn, unglaublich, welch Pairing-Experiment der Extraklasse! Ich studiere unseren Tasting-Deckel, auf dem neben 14 Bierfarben von Blond über Kupfer bis Schwarz auch 56 Bieraromen gelistet sind, darunter so exotische wie Gletschereisbonbon und Litschi, doch nichts davon könnte genügen, um die aufregende Liaison aus edelstem Schokoladenschmelz und dem torfigen, dezent prickelnden Rauchbier zu beschreiben, diesen göttlichen Moment vollkommenen Gaumenfreudenglücks.

Von weiter oben könnten die Anleitungen für unsere Bierdegustation in der legendären Bamberger Bierstube „Schlenkerla“ kaum kommen. Inmitten der Holztische steht Markus Raupach, Biersommelier, Gründer der Bierakademie, Träger des Bamberger Bierordens und Verleger von über 30 Fachtiteln in einer Person, womit er schon Schlagzeilen als „Bierpapst“ schrieb. Neun Biere hat uns der Experte mitgebracht, allesamt erlesene Kompositionen mit eigenwilligem Charakter, die wir mal mit Pralinen der Bamberger Confiserie Storath verkosten, mal ohne: „Carême 1814“ aus der Champagnerflasche, Witbier im belgischen Stil, India Pale Ale mit Tropenfruchtaromen, mehrere Rauchbiere mit Süßholz und Torfmalz aus den schottischen Highlands, hochprozentigen Cognac-Bock, kostspieligen Eisbock à 30 Euro die Flasche und eine ganz besonders gewöhnungsbedürftige Spezialität, ein säuerliches Barrique-Bier.

Es ist eine Expedition zu den abenteuerlichsten Gipfeln fränkischer Brauereikunst, deren Experimentierfreude mit dem deutschen Nationalgetränk sich manchmal sogar beherzt an der Reinheitsgebotsreligion versündigt. Die Branche sei zwar traditionalistisch, sagt Raupach. „Doch man will auch zeigen, was man kann“. Und weil die selbst ernannte „Heimat der Biere“ über eine der höchsten Brauereidichten der Welt verfügt, hat das der bayerischen Region einen berauschenden Sortenreichtum beschert, angefangen bei Klassikern wie Zwickel- und Rauchbier über saisonale Krönungen wie Fastenbier, Bockbier und Festbiere bis zu fantasievollen Innovationen.

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Bierverkostung im „Schlenkerla“: ein lange gereifter Eisbock
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Biersommelier, Träger des Bamberger Bierordens und Buchautor in einer Person: Markus Raupach

Rund 300 Brauereien sind in Franken ansässig – Traditionsbetriebe, mittelständische Unternehmen, Kommunbrauereien und kleinste Privatmanufakturen mit einem Ausstoß unter 1.000 Hektolitern jährlich, die nur für den Ausschank in der eigenen Gaststätte produzieren. Gleich mehrere Städte wetteifern um den Titel der „heimlichen Bierhauptstadt“, so auch Bamberg mit der weltweit ältesten Brauereimaschinenfabrik Kaspar Schulz, zwei Mälzereien sowie 69 Brauereien im Stadtgebiet und dem Umland. Die 70.000 Einwohner können zwischen 400 Bieren wählen – eine Konkurrenzsituation, aus der hohe Qualität und niedrige Preise resultieren.

„Jetzt sind wir auf der komplett experimentellen Schiene“, verkündet Raupach, als wir die nächste Probe in den Gläsern schwenken: Rittmayer Oak Reserve, ein dunkles fränkisches Strong Ale mit Kupferstich und viskoser Textur, gereift auf Süßholz und Bourbon-Whisky-Eichenholz, das sich mit einem berückenden Bukett reifer Erdbeeren, Vanille und Lakritze präsentiert, hernach zu einem Aromenfeuerwerk aus Bitterschokolade, Karamell und Pumpernickel explodiert und im Abgang mit feinem Röstmalz und harmonisch süßer Beerenfrucht ein fürstliches Finale feiert.

Das mag noch nicht so professionell und poetisch wie auf den Craft-Bier-Etiketten klingen, die von „geheimnisvollen Ausflügen in wonnige Welten bittersüßer Verführung“ und anderen magischen Geschmackserlebnissen schwärmen. Aber ich gestehe, eher eine Gerstensaftverschmäherin zu sein, die Wein und Campari-Cocktails bevorzugt und nur selten ein herbes Industriepils nuckelt. Für blumige Bierballaden fehlen mir jede Passion und das nötige Fachwissen. Zumindest war das bis zu meiner Reise nach Oberfranken so.

Im Crash-Kurs mit dem Bierpapst mäandern wir durch die Höhen und Tiefen der bald tausendjährigen Bamberger Brauereigeschichte, tangieren Themen wie Hopfenanbau, Mälzen und den Craft-Bier-Trend, lernen den Unterschied zwischen obergäriger Hefe (schwimmt oben auf dem Sud) und untergäriger Hefe (sammelt sich unten im Kessel und benötigt kühlere Temperaturen) kennen, dürfen zwischendurch in Schalen mit Hopfen und Malz greifen und eine überdimensionale Plüschhefezelle liebkosen und versuchen eine sensorische Analyse der Probierbiere: Ist der Schaum fein- oder grobporig beschaffen, welche Farbe und Konsistenz hat die Flüssigkeit, opalisierend oder trüb, welche Düfte sind wahrzunehmen, entfaltet sich die Hopfenblume dezent oder dominant, wie ist der Geschmack im Antrunk und im Abgang … Bis zu 200 Aromen ließen sich im Bier feststellen, sagt Raupach, mehr als in Wein. Für die optimale Entfaltung der Feinschmeckerbiere hat er bauchige, dünnrandige Gläser für uns ausgewählt. Pils sollte man hingegen aus Gläsern mit Rollrand genießen, „damit es weiter hinten auf den Rezeptoren für die Bitterstoffe landet“, so der Fachmann.

Die Bamberger, die sich an diesem schönen Abend im Mai um die Tische und in der Gasse vor dem „Schlenkerla“ drängen, trinken das „Seidla“ aus gewöhnlichen 0,5-Biergläsern oder ihren „Stammkrügla“. Durch eine Luke in der Schwemme, wie die ehemalige Toreinfahrt heißt, wird das frisch gezapfte Bier direkt nach draußen gereicht. Früher rollten hier die Fuhrwerke durch, um die Fässer zu den Lagerkellern in den Berggebieten zu transportieren. Spezialität des Hauses ist das Rauchbier, eine Art Urbier, denn in den Anfängen wurde das Grünmalz über offenem Buchenholzfeuer getrocknet. Das Rauchige sei sicher nicht jedermanns Sache, meint Raupach. Allerdings wollten die hiesigen Brauereien auch keinem Massenpublikum belieben, dafür seien die großen Marken zuständig. Bei aller Begeisterung für sein Metier hält der Biersommelier dabei nichts davon, den Gerstensaft als gesundes Nahrungsergänzungsmittel, isotonisches Sportgetränk oder dergleichen zu verbrämen wie manche seiner Kollegen. Alkohol sei ein starkes Zellgift, wie man es auch drehe und wende.

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Bei Einheimischen wie Touristen beliebt: der Brauereigasthof „Schlenkerla“ in der Bamberger Altstadt
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In der Schwemme wird Bier zum Mitnehmen abgezapft.

In der Weyermann-Welt, der nächsten Station unserer Reise im Zeichen des Gerstensafts, sieht man das weniger streng. „Ein reiner frischer Gerstensaft gibt Herzensmut und Muskelkraft,“ frohlocken die Bierdeckel, auf denen uns im neuen Gästezentrum der Bamberger Mälzerei fünf Biere zum Probieren serviert werden. Wieder sind es lauter kühne Kreationen, denn der Weltmarktführer für Spezialmalze betrachtet seine hauseigene Braumanufaktur mehr als Spielwiese. Zum Sortiment zählen das mit dem European-Beer-Award geadelte „Bamberg Rogg’t“, ein kastanienbraunes, cremiges Roggenbier mit Nougatnote, ein Süßholz-Porter und der Weyermann-Klassiker „Schlotfegerla“. Mit seinem „Hauch von Rauch“ sei es ein gutes Einsteigerrauchbier und harmoniere perfekt mit Zander oder einer Crème Brûlée, erläutert Ulrich Ferstl, leitender Kundenberater und einer von 18 Biersommeliers des Traditionsunternehmens.

Weithin sichtbar neben den Bahngleisen thront der Stammsitz der 1879 gegründeten Mälzereidynastie, eine Backsteinbastion mit Türmen und Schloten, aus denen weiße Wölkchen puffen. In einem komplexen Verfahren aus Reinigen, Einweichen, Keimen, Trocknen, Karamellisieren und Rösten werden hier mehr als 85 Malzarten hergestellt – jene Zutat, die dem Bier laut Weyermann-Werbung seine „Seele“ verleiht. Und zwar nicht nur deutschen Erzeugnissen, sondern mehr als 50.000 Bieren rund um den Globus. Schon 140 Länder von Grönland über Aserbaidschan bis Nepal stehen auf der Exportliste. Die Kunden können sowohl vorkonfektionierte als auch individuelle Mischungen bestellen, weshalb sich der „Mercedes unter den Malzen“ eng mit der Craft-Brewing-Bewegung verbunden sieht. Ein weiteres Standbein ist die Lebensmittelindustrie: Weyermann-Röstmalzextrakte sind in Müsli und Marinaden zu finden, in Hundekeksen, Bonbons und veganen Buletten, um ihnen eine appetitliche Braunfärbung zu geben.

Wir durchlaufen die einzelnen Produktionsschritte des Mälzens wie in einer Sendung-mit-der-Maus-Sachgeschichte: besichtigen den tropisch feuchtwarmen Keimkasten mit perlengroßen Kondenswassertropfen an der Decke, inhalieren säuerliche, vergorene und erdige Gerüche, spazieren an silbernen Kühl- und Röstzyklonen vorbei in die dröhnende Rösterei, in der ein Mitarbeiter an Bildschirmen mit zuckenden Kurven und Balkendiagrammen die Parameter des hitzeintensiven Vorgangs in den Trommeln überwacht, und schauen schließlich im Labor vorbei, wo das Getreide der 500 Zulieferer auf Schimmel, Keimfähigkeit und mit Käferdetektoren auf Ungeziefer überprüft wird.

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Weltmarktführer für Spezialmalze: die Mälzerei Weyermann in Bamberg
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Bierverkostung mit Ulrich Ferstl, einer von 18 Biersommeliers im Hause Weyermann
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Die Rezeptur des Weyermann-Klassikers „Schlotfegerla“

Von der hohen Kunst des Brauereihandwerks und der fränkischen Biervielfalt bin ich jetzt schon restlos überzeugt. Doch ein echtes Lieblingsbier ist mir noch nicht begegnet. Vielleicht ja auf unserer Landpartie zur Brauerei Haberstumpf in Trebgast? Dort, vor den Toren des Frankenwaldes, wirkt die Bierfee Yvonne Wernlein. Mit drei anderen Brauereitöchtern hat sie vor drei Jahren einen Trunk ausgetüftelt, der speziell Frauen munden sollte: „Holla die Bierfee“, in der Winteredition ein Starkbier so ebenholzschwarz wie Schneewittchenhaar, das eine „wilde Zartbitter-Kirschen-Gaumenexplosion“ verheißt. Der Genuss des orange-roten Sommerbieres klingt ebenfalls nicht ungefährlich: „Ein echter Ladykiller mit Suchtgefahr“, werben die Bierfeen.

Auf die Idee mit dem Frauenbier kamen die jungen Braumeisterinnen, als sie in ihrer Lieblingskneipe beobachteten, dass viele Frauen an den Nachbartischen an Schaumweinen und Aperol Spritz nippten statt an den fabelhaften, fränkischen Bieren. Also beschlossen sie, die Abtrünnigen mit einer Weltneuheit zu verführen – zwei saisonalen Kompositionen aus Champagner- und Burgunderhefen, Weyermann-Spezialmalzen, Aromahopfen aus Spalt und Hallertau, reinstem Brauwasser aus dem Fichtelgebirge und einer geballten Ladung weiblicher Braukunst. Yvonne Wernlein übernahm den Part der Wasserfee, die anderen Mädels sollten die Malz-, Hopfen- und Hefefee sein. Als einige Monate später die Premiere auf den Markt kam, dauerte es bis zum Ausverkauf gerade mal vier Wochen.

Im Reich der Wasserfee erwartet uns die reinste bayerische Postkartenidylle. Wiesen und Waldketten staffeln sich bis zum Horizont. Die Sonne scheint, irgendwo läuten Kirchenglocken. An der Auffahrt zur Brauerei Haberstumpf deutet bis auf eine leere Flasche zwischen alten Wagenrädern und Fässern zunächst nichts daraufhin, dass es hier Holla-die-Bierfee-Bier gibt. Yvonne Wernlein begrüßt uns mit einem holden Lächeln. Ihre Gestalt ist von feenhafter Zartheit, aber Libellenflügel und einen Zauberstab scheint sie nicht zu besitzen, obschon sie den für ihr Tagwerk wohl gut gebrauchen könnte.

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Bayerische Postkartenidylle: Aussicht von der Privatbrauerei Haberstumpf in Trebgast

Nach ihrer Brauerlehre in der Rhön, dem Besuch der Meisterschule in München und Station bei der Kronenbrauerei in Offenburg ist sie vor vier Jahren in die Brauerei ihrer Eltern zurückgekehrt. Der Vater ist im Rentenalter und will sich demnächst aus dem Geschäft zurückziehen. Wie es dann weitergeht, weiß die 34-jährige Braumeisterin noch nicht: „Allein schaffe ich die Arbeit nicht, aber jemanden einstellen kann ich auch nicht.“ Ein Problem, das auch andere familiengeführte Mikrobrauereien der Region hätten. „Eigentlich müssten wir die Preise erhöhen, aber das lässt sich nicht durchsetzen.“ Ja, dass die heiße Liebe der Franken zu ihrem Bier nicht unerschütterlich ist, davon hatten wir schon in Bamberg gehört. Im Jahre 1907 war es in der Stadt zum „Bamberger Bierkrieg“ gekommen, weil die Brauereien den Bierpreis von elf auf zwölf Pfennige angehoben hatten. Die Bürger antworteten mit Boykott. Nur wenige Tage später nahmen die Brauereien ihre Entscheidung zurück.

Nachdem wir die kleine Privatbrauerei mit Sudhaus, Kühltanks und Filtriermaschine inspiziert haben, aus den frühsommerlichen Temperaturen in den alten Felsenkeller eingetaucht sind, in dem das Bier vor der Erfindung der Kältemaschine lagerte, und uns durch die Haberstumpf-Biere „Schwarze Kunni“ (ein ökozertifiziertes Dunkelbier), „Weißer August“ (ein naturtrübes Weißbier) und ein unfiltriertes Zwickelbier getrunken haben, wollen wir nun aber endlich „Holla die Bierfee“ kosten. Yvonne Wernlein zuckt entschuldigend mit den Schultern. Vom Winterbier sei nichts mehr da und die Sommervariante erst in einigen Wochen verfügbar. Wie schade. Limitierte Auflagen, Schmalspurvertrieb und Reklame mit Ausbaupotenzial: Es scheint gerade so, als wollten die Bierfeen nicht, dass ihrem Liebhaberprojekt Flügel wachsen. Als wir aufbrechen, hat Yvonne dann plötzlich doch noch für jeden von uns eine der proseccoähnlichen, pink beschrifteten Flaschen herbeigezaubert. Wir sollten das Feenbier nicht zu kalt und am besten aus Wein- oder Sektgläsern trinken, sagt sie zum Abschied.

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Eine der vier Bierfeen, die das Frauenbier „Holla die Bierfee“ erfunden haben: Braumeisterin Yvonne Wernlein
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Moderne Kühltanks statt Felsenlagerkeller: Führung durch die Privatbrauerei Haberstumpf

Zur Blütezeit des Brauwesens im 19. Jahrhundert blubberten die Sudkessel in noch einigen Braustätten mehr. Mit der Industrialisierung verleibten sich dann aber die Größeren die Kleineren ein. Im nahegelegenen Kulmbach, Revier des Platzhirsches Kulmbacher Brauerei AG, trug sich die Geschichte folgendermaßen zu. Man schrieb das Jahr 1990, als die ganze Stadt von einer großen Biermacht besetzt war. Die ganze Stadt? Nein, eine kleine Schar wackerer Bierliebhaber war verblieben, die ihr Wissen um handwerklich gebrautes Bier verteidigen wollten. Am Stammtisch schmiedeten sie Pläne für ein Wirtshaus mit Kleinbrauerei – die Geburtsstunde der Kommunbräu. Sie sollte an die Tradition der Kulmbacher Kommunbrauhäuser anknüpfen, als die Bürger im Besitz eines Braurechts waren und ihr eigenes Bier brauen konnten.

Ungefähr so ist es durch die Genossenschaftsbrauerei überliefert. Kommunbräu-Wirt Frank Stübinger spricht von einer „Protestbewegung gegen den Einheitstrend“, als wir im Biergarten der ehemaligen Getreidemühle bei einer Kostprobe des Mai-Bieres „Deflorator“ zusammensitzen. Mit seinem Zopf, dem schwarzen Zip-Pullover, unter dem sich nicht die geringsten Anzeichen lebhaften Bierkonsums wölben, und den sanguinischen Gesten verkörpert er so ziemlich das Anti-Klischee eines Schankwirtes, den man sich ja doch eher wohlgenährt und gemütlicher vorstellt. Da passt es wieder, als Frank Stübinger erzählt, dass er früher mit Punk- und Indie-Bands getourt ist – damals, als es in Kulmbach noch eine „wahnsinnig tolle und bunte Feierszene“ gab.

Und dann erzählt er uns noch von ganz vielen anderen Dingen – von seinen Kindern, seinem BWL-Studium, seiner Ausbildung zum Gewürz-Sommelier und dem Bierkalender der Kommunbräu. Jeden ersten Mittwoch zum Anstich des Monatsbieres gibt’s für die Gäste ein gratis „Versucherla“. Später bringt er uns noch hausgemachten Birnen- und Zwetschgenschnaps an den Tisch und erzählt uns vom „großen Neidfaktor“, der ihm in der Brauereibranche begegnet sei, und noch von vielen anderen Dingen … „A weng mit die Leut waaf’n“ – ja, Frank Stübinger lebt diese Wirtshausphilosophie der Kommunbräu.

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Früher mit Punk-Bands unterwegs, heute Wirt der Kulmbacher Kummunbräu: Frank Stübinger
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In der Kommunbräu gibt es jeden Monat ein anderes Bier, hier die Präsentation der Mai-Kreation „Deflorator“.
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Stammkrügla-Depot in der Kommunbräu

Keine Frage, man könnte sich auf einer Reise durch Oberfranken vollkommen mühelos von morgens bis abends mit Bier beschäftigen. Nur würde man dann den majestätischen Bamberger Dom und die Neue Residenz mit dem Rosengarten versäumen, von dem sich ein herrlicher Blick auf das Benediktinerkloster St. Michael bietet, deren Mönche 1122 von Bischof Otto I. als erste in der Stadt das Braurecht erhielten. Man würde nicht die spätmittelalterliche Gärtnerstadt erleben, wo in den Innenhöfen schon seit Jahrhunderten die nussige Kartoffelsorte „Bamberger Hörnla“, Süßholzwurzeln und Zwiebeln gedeihen. Und wenn man den mittelalterlichen Bergfried der Altenburg nicht erklimmt, dessen Zinnen das 360-Grad-Frühsommerpanorama in Wiesen, Wälder, Rapsfelder und Dächermeere mit Kirchturmspitzen rastern, würde man auf wundervolle Aussichten verzichten. So wäre es auch, würde man in Kulmbach nicht zur Plassenburg über der Altstadt wandern, dieser trutzigen und fürstlichen Hohenzollernresidenz, die der Vizekastellan Thomas Götz als „eines der schönsten Renaissance-Juwele nördlich der Alpen“ lobpreist. Selbst nach 20 Jahren sei es für ihn immer wieder ein Genuss, hier oben zu sein.

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Blick von der Altenburg auf Bamberg …
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… und vom Rosengarten der Neuen Residenz auf das Benediktinerkloster St. Michael
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Das alte Rathaus auf der Inselstadt von Bamberg
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Ein Motiv, das in der Bamberger Altstadt oft zu finden ist: Fachwerkhäuser und Kirchturmspitzen
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Renaissance-Juwel: die Plassenburg über der Altstadt von Kulmbach

Die fränkischen Bier- und Tourismuswerber haben indessen nichts ausgelassen, um Besucher auf die Spuren des flüssigen Goldes zu locken. Sie können in Bierseminaren mit Käse- und Pralinen-Pairings in höchste kulinarische Sphären aufsteigen, in Workshops ihr eigenes Bier brauen, auf einer „Bierschmecker“-Tour in Bamberg von Bierstube zu Bierstube ziehen, auf dem „Fünf-Seidla-Steig“ durch die Fränkische Schweiz wandern, sich zum „Fränkischen Ehrenbiertrinker“ diplomieren lassen, von Bierkeller zu Bierkeller radeln, Rauchbierbrot, beschwipste Jungrinderleber oder Malzbierzabaione probieren, in der Frankentherme in Bad Königshofen zu Bieraufgüssen schwitzen, sich in Museen wie dem Bayerischen Brauereimuseum in Kulmbach über die fünftausendjährige Geschichte des Gerstensafts informieren und im randvollen Reigen der Bierfeste mitfeiern, angefangen beim „Tag des Bieres“ am 23. April über Kirchweihfeste bis zu den Bockbieranstichen im Herbst.

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Für bieraffine Touristen reicht das Angebot von Thementouren bis zu …
Kulmbach_Biermuseum2
… Museen wie dem Bayerischen Brauereimuseum in Kulmbach, das auch ein gläsernes Sudhaus beherbergt.

Im nächsten Jahr wollen die Oberfranken noch eine kräftige Schippe Feiervergnügen drauflegen, denn dann wird das Bayerische Reinheitsgebot 500 Jahre alt. Es geht auf Herzog Wilhelm IV. zurück, der 1516 in Ingolstadt beschied, dass fortan nur noch Wasser, Hopfen und Malz zum Brauen gestattet seien, wo vorher so abenteuerliche Zutaten wie Ruß, Kreidemehl oder Fliegenpilz in die Kessel fanden und zweifelhafte Qualitätsprüfungen wie diese praktiziert wurden: „Man bestreiche eine Bank mit Bier, setze mehrere Männer in ledernen Hosen darauf und lasse sie drei Stunden still sitzen. Dann lasse man sie auf Kommando gleichzeitig aufspringen. Bleibt die Bank an der Hose kleben, ist das Bier nicht zu beanstanden.“

Nach meiner Heimreise habe ich dann noch eine private Holla-die-Bierfee-Verkostung zelebriert. Der Korken saß ein wenig frauenunfreundlich, nämlich superstramm, in der Flasche. Ich benötigte ein Handtuch und mehrere Versuche, bis es „plopp“ machte. Im Glas entfaltete der ebenholzschwarze Feentrunk sogleich ein bezauberndes Bukett aus reifen Beeren und Schokolade mit einer Idee von Vanille und Wacholder. Der Schaum war so feinporig, dass man wahrscheinlich Formen hineinmalen könnte. Ich kostete einige Schlucke und gleich noch einige. Welch umwerfendes Elixier, so süffig und sahnig, karamellig, schokoladig und malzig! I love it. Wenn das Glas nicht schon fast leer gewesen wäre, hätte ich jetzt ein Herz in den Schaum gezeichnet.

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Holla, was für ein süffiges Gebräu: das Frauenbier aus Franken
Fotos: pa, Franken Tourismus/Günther Bayerl (1)

AUF DEN SPUREN DES FLÜSSIGEN GOLDES
Beim Tourismusverband von Franken ist die Broschüre „Franken – Heimat der Biere“ erhältlich. Die Informationen sind auch unter www.franken-bierland.de zu finden und als App verfügbar. Durch die „Bamberger Bierwelten“ führt ein Prospekt von Bamberg Tourismus, der sich unter http://www.bamberg.info/bier/ bestellen oder herunterladen lässt. Die Bierakademie von Markus Raupach bietet Bierverkostungen, Brauseminare, Thementouren, Kochkurse und Spezial-Workshops an.

5 Comments

  • Hmmmmhhh… ein echter „Leseschmaus“ ;-) Komplett irre, die vielen Biersorten!

  • Was es nicht alles gibt auf der Welt bzw. in unserem schönen Lande … Mal wieder eine wunderschöne Anregung für eine Reise – Dankeschön!

  • Da mögen die Kulmbacher noch so exotisch Biersorten brauen – die Fotos sprechen eine andere Sprache. Nämlich die eines biederen Provinznests…. Was aber nicht heissen soll, dass das Bier nicht schmeckt – im Gegenteil! Muss gleich mal zum Späti :) Viele Grüsse aus Berlin Dirk

    • Möglicherweise transportieren die Bilder das nicht so, aber Kulmbach unterscheidet sich schon etwas vom Archetyp des „biederen Provinznests“. Neben dem Brauereikonzern wären hier etwa die Plassenburg (eines der größten Renaissance-Bauwerke unseres Landes) und das Bayerische Brauerei- und Bäckereimuseum zu nennen, das seit den Modernisierungen und Erweiterungen vor einigen Jahren selbst vor den Augen kulturverwöhnter Hauptstädter Gnade finden dürfte. ;-)

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