Geparde sind eine gefährdete Spezies und erscheinen, wenn sie nicht gerade eine Beute zerpflücken oder mit Spitzentempo 110 über die Savanne sprinten, wie wunderschöne Kuschelkatzen. Da bleibt es nicht aus, dass sie als Touristenattraktion vermarktet werden – mal mehr artgerecht, mal weniger. Zu Besuch bei den Raubtieren in Namibia.
Sie schlummern im Schatten der Sträucher wie schmusige Stubenkätzchen. Zwei Geparde, dicht an dicht, so niedlich, so friedlich. Nein, man wird dem Impuls natürlich nicht nachgeben und aus dem Jeep klettern, um sich an die Tiere zu schmiegen und ihnen das getupfte Fell zu tätscheln, auch wenn ihr Anblick ein Frontalangriff auf die Areale im Gehirn ist, in denen Zärtlichkeitsgefühle entstehen. Wahrscheinlich würde man die Aktion sogar ohne Kratzer überleben, weil die Raubkatzen ein schüchternes Naturell besitzen und zu Menschen lieber auf Distanz gehen. Doch eins müsste man gewiss einstecken: die Schelte von Previous Tsvigu, dem 32-jährigen Ranger mit den schwarzen Dreadlocks und den schneeweißen Zähnen. Denn bei allem, was das Wohl der Geparde gefährden könnte, kennen er und seine Kollegen von AfriCat kein Pardon.
Wir sind mit Previous auf einer Pirschfahrt im Okonjima Nature Reserve unterwegs, einem privat geführten Schutzgebiet auf halber Strecke zwischen Windhoek und dem Etosha-Nationalpark im Norden von Namibia. Hier betreibt die AfriCat Foundation eines der weltweit größten Programme zur Rettung von Geparden und Leoparden. Die gemeinnützige Organisation hat sich kategorisch gegen die Vermarktung der Großkatzen als Kuscheltiere für Touristen positioniert, wie es anderswo in Namibia und den Nachbarländern geschieht. Viele der Geparde, die in der Obhut der AfriCat-Aktivisten landen, stammen von Lodges, für die sich das aufwändige Entertainment schließlich doch nicht rentierte.


In dem Reservat sollen die Raubkatzen wieder lernen, sich wie wilde Tiere zu benehmen – ihrem Jagdinstinkt zu folgen, Gefahren richtig einzuschätzen und sich zu vermehren, was sie in Gefangenschaft meist verweigern. Besucher können die Geparde aus Abstand beobachten, anfassen darf sie nur der Tierarzt. Das ist mitunter erforderlich, wenn sich die grazilen Raubkatzen im Feuereifer der neuen Freiheit für die falschen Leckerbissen begeistern – für große Huftiere zum Beispiel, deren Kicks im schlimmsten Fall tödlich ausgehen.
Geparde sind zwar mit einer Spitzengeschwindigkeit von über 100 Stundenkilometern, auf die sie schneller als ein Ferrari beschleunigen können, die unangefochtenen Sprintrekordler unter den Landwirbeltieren. Im Nahkampf gereicht den langgliedrigen Leichtgewichten von 40 bis 50 Kilogramm aber höchstens ihre Wendigkeit zum Vorteil. Überdies ist ihr Gebiss im Vergleich zu anderen Raubkatzen eher klein ausgeprägt.
Auf dem Gelände von Okonjima, das mit 220 Quadratkilometern fast der Fläche von Frankfurt entspricht, leben die Geparden in Nachbarschaft mit Leoparden, Karakalen, Tüpfelhyänen, Wildhunden, Giraffen, Zebras, diversen Antilopenarten und vielen kleineren Tieren – Warzenschweinen, Honigdachsen, Kleinfleck-Ginsterkatzen, Wollschwanzhasen, Mangusten und mehr als 250 Vogelarten, darunter endemische Spezies wie die Carpmeise und der Damara-Felsenspringer.





Über Funkhalsbänder können die Großkatzen von den Rangern geortet werden – zur Gesundheitsüberwachung und eben für Pirschfahrten mit Touristen. Denn ohne die kommen auch die Raubtierliebhaber nicht aus. AfriCat finanziert sich durch Spenden, Tagesbesucher und die Okonjima Lodge mit Camps verschiedener Komfortklassen, angefangen bei Camping-Plätzen über luxuriöse Chalets bis zur „Grand African Villa“ als High-End-Produkt mit 554 Quadratmetern, hochziehbaren Zeltwänden für den Rundum-Buschblick und Betten auf Rädern, die sich für Nächte unterm Sternenhimmel auf das Terrassendeck rollen lassen.
Okonjima liegt im Herzen von Namibias Farmland, das während der Kolonie Deutsch-Südwestafrika zwischen 1884 und 1915 entstand. Anders als im Nachbarland Simbabwe, dessen despotischer Regierungschef Robert Mugabe durch gewaltsame Enteignungen einen wirtschaftlichen Komplettkollaps mit Hyperinflationshöhepunkt herbeiführte, sind die meisten der 7.000 namibischen Farmen bis heute in der Hand von Weißen. Viele der Arbeiter gehören den Herero an, die früher als Hirten durch die Gegend zogen. Sie tauften die nahegelegene Stadt in ihrer Bantu-Sprache Otjiwarongo: „Schöner Platz der fetten Rinder.“
Wie die umliegenden Ländereien war auch Okonjima lange Zeit eine Rinderfarm. Erst als Anfang der neunziger Jahre die nächste Generation des hier ansässigen Hanssen-Clans das Management übernahm, erfolgte die Kehrtwende von Viehzucht zu Tourismus kombiniert mit Tierschutz. Zu diesem Zeitpunkt war die Zahl der ehemals rund 100.000 Geparde in Namibia auf wenige Tausend gesunken. Die Raubtiere machten sich immer wieder über die saftigen Kälber her und wurden von den Farmern vergiftet oder erschossen. Gegenwärtig wird die Population der Großkatzen auf 3.000 bis 6.000 geschätzt, womit Namibia auf dem afrikanischen Kontinent führend ist. In anderen Teilen der Welt existieren lediglich noch winzige Restbestände der vom Aussterben bedrohten Art.
Die Familie Hanssen baute also ihr ehemaliges Farmhaus zu Touristenunterkünften aus, kaufte die angrenzenden Rinderfarmen auf, ließ Zäune niederreißen und neue errichten, um die Lodge-Gäste vor den Raubkatzen zu schützen, aber auch die Raubkatzen vor den Flinten der Farmer. Später eröffneten noch eine Tierklinik, ein Bildungszentrum und eine Schule zur Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen für ein Leben im Einklang mit der Natur. Mittlerweile sind auf Okonjima 200 Mitarbeiter beschäftigt.



Wenn man so durch das Land fährt, in dem sich Einöde mit Wildnis abwechselt und schnurgerade Teerstraßen in schnurgerade Sandpisten übergehen und sich das Auge dankbar an jeden Termitenhügel und jeden Tafelberg klammert, der die Monotonie der pfannkuchenfarbenen und pfannkuchenflachen Savannentopografie unterbricht, dann könnte man meinen, dass Mensch und Natur sich eigentlich nicht ins Gehege kommen müssten. Dass bei gerade mal zwei Millionen Einwohnern auf einem Staatsgebiet fast dreimal so groß wie Deutschland doch Platz genug für alle ist – für Farmer, Weidetiere und Raubkatzen, für Weiße, Schwarze und alles dazwischen, für die Völker der Herero, der Ovambo, der Damara, der Nama und wie sie alle heißen.
Aber so einfach geht die Rechnung ja nie. Und in Namibia funktioniert sie sogar außerordentlich schlecht: In kaum einem anderen Land der Welt ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer. Und die Raubtiere, nun ja, sammeln sich dort, wo die fetteste Beute lockt. Okonjima will mit den Gästen freilich auch Einnahmen für AfriCat generieren, vor allem aber die Philosophie des Projekts an sie adressieren: „In the end, we conserve only what we love. We will love only what we understand. We will understand only what we are taught.“



Jetzt, auf der Pirschfahrt mit Previous, sollen wir uns also in die Geparde verlieben. Das geht ruckzuck, wenn man sie beim Schlummern beobachten darf. Oder dabei, wie sie mit ihren Superathletenkörpern durch den Busch streifen, so schön, so geschmeidig. Oder wenn man ihnen in die bernsteinfarbenen Augen schaut, aus denen unaufhörlich Tränenbäche zu rinnen scheinen, weil die Natur den Katzen schwarze Streifen ins Gesicht geschminkt hat. Und man dann in dem seelenvollen Blick eine Mischung aus Melancholie und Sehnsucht zu erkennen glaubt, warum oder wonach auch immer. Oder ist es Missmut wegen der ungebetenen Besucher, die wie verrückt auf die Kameras klicken?
Für den theoretischen Teil ist heute Shanna Groenewald zuständig, eine blonde, zierliche Frau von 24 Jahren, die in die dritte Generation der Hanssen-Familie eingeheiratet hat und nun im Management von Okonjima arbeitet. Ursprünglich wollte sie in der Schule der Stiftung unterrichten, nachdem sie von ihrer Heimat Simbabwe kommend schon als Sportlehrerin in Südafrika unterwegs gewesen war. Ihre Leidenschaft für die Raubkatzen entflammte erst auf Okonjima.
Shanna führt uns durch das Informationszentrum mit Landkarten, Fotos und Tierschädeln, zeigt uns die Tierklinik und die Forschungsstation, reicht ein Glas mit Raubkatzenembryos herum, erklärt Röntgenbilder, Funkhalsbänder und die Beratung der Farmer, die in enger Abstimmung mit Forschern und Umweltbehörden erfolgt. Beispielsweise wird den Landwirten geraten, ihr Vieh durch Elektrozäune und Hütehunde zu schützen oder dadurch, dass sie weniger Tiere halten, damit genügend Weideland für Antilopen bleibt, an denen sich die Raubtiere sättigen können. In der 20-jährigen AfriCat-Bilanz stehen schon mehr als 1.000 gerettete Großkatzen und 20.000 Kinder, die das Bildungszentrum besucht haben.



Fotos: © Okonjima Nature Reserve (8), pa (9)
Danach kann man sich so gar nicht vorstellen, was böse Zungen behaupten: dass viele der namibischen Schutzgebiete nichts anderes als eine Zwischenstation für die Raubtiere sind, bevor sie auf Jagdfarmen verfrachtet und für Trophäenjäger zum Abschuss freigegeben werden. Das könnte man schließlich auf kürzeren Wegen abwickeln. „Research, rescue, rehabilitation and release“ – Forschung, Rettung, Rehabilitation und Auswilderung fasst Shanna die Aufgaben von AfriCat zusammen. Und ergänzt mit einem Glimmern in den grüngrauen Augen, wie wenn Katzen ein Ziel fokussieren: „Unsere Vision ist es, dass alle Raubtiere in Namibia in ihren natürlichen Lebensräumen überleben können.“
AUFKLÄRUNG STATT KUSCHELKURSE
Für Gäste der Okonjima Lodge werden vielerlei Aktivitäten angeboten – von Wanderungen über Vogelbeobachtungen bis zu Tag- und Nachtsafaris zu Fuß und mit dem Jeep. Tagesbesucher können auf 1,5-stündigen Führungen durch das „Carnivore Care and Information Centre“ einen Einblick in die Arbeit der AfriCat Foundation gewinnen.
Vielen Dank, für diesen wunderschönen und sehr informativen Beitrag! Und auch die tollen Bilder! Man kann sich daran gar nicht satt sehen.
Herzliche Grüße, Hermann
Ein Dankeschön zurück für das wunderbare Feedback! „Man kann sich daran gar nicht satt sehen“ … so ging’s mir auch mit den Geparden.
Ein super interessanter Blog mit so wunderschönen Bildern, den ich mir bestimmt öfter anschauen werde. Vielen Dank! LG Eva
Das Kompliment kann ich mit Blick auf deinen Blog nur zurückgeben. Viele Grüße nach Berlin sendet dir die reisekorrespondentin