Stille, Landluft und Karstberge mit Kronen aus Wattewolken: Die Mai Chau Ecolodge im vietnamesischen Hochland bietet das Kontrastprogramm zu Hanoi. Man kann am Swimmingpool mit Blick ins Grüne entspannen oder auf einer Mountainbiketour durch die morastige Umgebung mäandern.
Keine 300 Meter haben wir mit unseren Leihfahrrädern von der Mai Chau Ecolodge zurückgelegt, da verwandelt sich der Feldweg in eine Sumpflandschaft. Rechts steigt ein Hang auf, links liegt ein Nassreisfeld. Durch den Schlamm schlingern oder umdrehen? Für Umdrehen spricht vieles. Wir würden den Bestand an trockenen Schuhen und Kleidern schonen, der nach den regenreichen Vortagen als überschaubar zu bezeichnen ist. Wir könnten auf der Veranda unserer Ferienhäuser die Füße hochlegen, in der Wellnessabteilung eine Kräuterbehandlung genießen oder uns im Swimmingpool erfrischen, anstatt in tropischem Dampfbadklima mit dem Mountainbike durch Morast zu stapfen. Andererseits sind wir hierher gereist, um die Bilderbuchlandschaften des vietnamesischen Hochlandes zu erkunden, von denen wir durch das Busfenster einen Vorgeschmack erhalten hatten – Reisterrassen, Flüsse und Hügel umhüllt von Wolkenschleiern. Also weiter.
Unsere Fahrt in die Bergwelt von Vietnam hat in Hanoi begonnen. Der Reisebus schaukelt in Richtung Südwesten aus der Hauptstadt und uns in den Schlaf. Als wir eine Stunde später die Augen wieder öffnen, ist alles Getöse und Getümmel der Millionenmetropole verschwunden. Dörfer wechseln mit Reisfeldern, in denen Bauern mit spitzen Strohhüten auf- und abtauchen. Wasserbüffel pflügen durch die Getreidepflanzen. Dunst kriecht über das Land. Irgendwann tut sich die Ebene des Schwarzen Flusses auf, aus der bewaldete Karstberge wie Kegelhüte von Riesen ragen.
Wir sind in der Provinz Hoa Binh angekommen, in der mehrere Minderheiten leben – die Dao, Hmong, Muong, Tay und Thai. Mit mehr als 50 größeren, kleineren und ganz kleinen Volksgruppen gilt Vietnam als das ethnisch vielfältigste Land in Südostasien. An einem Dorf der Muong legen wir eine Rast ein. Die Gemeinde hat sich auf Tourismus als Einnahmequelle neben der Landwirtschaft spezialisiert. Kaum haben wir den Bus verlassen, umringen uns Frauen mit Selbstgenähtem und Selbstgeknüpftem. Nach einem kurzen Spaziergang, auf dem die Frauen versuchen, uns in ihre Pfahlhäuser zu lotsen und dabei ihre Handarbeiten vor uns schwenken wie Hypnosependel, flüchten wir uns in den Bus. Auf den nächsten Kilometern schlängelt sich die Straße in Serpentinen nach Mai Chau hinauf. Für das letzte Stück steigen wir auf Elektrowägelchen um. Der Reisebus passt hier nicht mehr durch.


Die Mai Chau Ecolodge ist eine dieser Unterkünfte, die sich alle Mühe gibt, ihren Gästen das Gefühl zu nehmen, sich wie Eindringlinge im Paradies zu fühlen. Und das gelingt auch ganz gut. Mit 19 Cottages im regionaltypischen Stelzenhausstil schmiegt sich die 2014 eröffnete Anlage dezent an den Fuß der Berge. Die Dächer sind mit Stroh gedeckt, die Inneneinrichtung besteht überwiegend aus schnell nachwachsenden Hölzern und Natursteinen. Wasser, das in der Gegend reichlich vom Himmel fällt, fließt aus einer Dusche mit großem Holzzuber im Badezimmer und aus einer Außendusche hinter dem Bungalow. Im Schlafzimmer gibt es eine Tee- und Kaffeestation und ein Himmelbett, aber kein TV-Gerät. Wem nach dem Gehupe in Hanoi trotzdem nach Beschallung zumute ist, braucht nur die Terrassentür zu öffnen: Grillen und Frösche konzertieren in den Abendstunden nach Leibeskräften. Tagsüber kann man von der Veranda den Reisbauern dabei zusehen, wie sie durch die Felder stiefeln.
Zu den Gemeinschaftseinrichtungen der Mai Chau Ecolodge gehören ein Restaurant, ein Massagecenter, Räume für Konferenzen und ein seeförmiger Swimmingpool mit Bar. In allen Bereichen sind Einheimische beschäftigt, die teils in Hanoi ausgebildet wurden. Im Restaurant kommen Gemüse und Kräuter aus dem Garten der Ökolodge auf den Tisch. Bis auf die vegetarische Vorsuppe, die sich in ihrer faden Beschaffenheit nicht von den vegetarischen Vorsuppen der Restaurants in Hanoi unterscheidet, mundet alles vorzüglich.







Wer mit Entschleunigen und Essen nicht ausgelastet ist, kann in der Mai Chau Ecolodge zwischen Wanderungen, Radfahren, Kochkursen und Farmarbeit wählen. Wir haben uns für eine Tour mit Mountainbikes entschieden. Pünktlich zum Start reduziert sich der Platzregen auf Nieselregen. Nebel wabert über die Berge. Kein Lüftchen regt sich. Erst dampfen nur die Nassreisfelder, dann auch wir. Der rötliche Morast, durch den wir die Fahrräder hieven, hat die Konsistenz von Kaugummi. Hätten wir gewusst, dass das mit den aufgeweichten Pfaden so weitergeht, wären wir vermutlich doch umgedreht. Riesenpfützen reihen sich an Matschkuhlen, Matschkuhlen an Riesenpfützen.
Schon bald sind wir von den Schuhen bis zum Scheitel mit Schlamm besprenkelt und sorgen uns nur noch darum, nicht auszuglitschen und samt Fotoapparat in die Überschwemmungen zu stürzen. Das erfordert die volle Konzentration. Für die Idylle ringsum – Palmen, Mangobäume und immer wieder neongrüne Reisfelder – haben wir kaum Augen. Glücklicherweise herrscht hier, ganz im Gegensatz zu den zweiradgefluteten vietnamesischen Großstädten, so gut wie kein Verkehr. Dann und wann schlendert uns ein Reisbauer entgegen oder knattern Jugendliche auf Mopeds vorüber.
In den Dörfern bekommen wir hin und wieder auch Asphalt unter die Räder. Chieng Chau, Lac, Pom Coong und Van heißen die Ansammlungen von Stelzenhäusern, die wir auf unserem Ausflug streifen oder durchqueren. Die meisten Bewohner seien Weiße und Schwarze Thais, erläutert unser Guide Giang. Die Bezeichnung gehe nicht auf die Haar- oder Hautfarbe der Volksgruppen zurück, sondern auf die hellen und dunklen Trachten. Die traditionellen Gewänder entdecken wir allerdings nirgendwo – weder an den älteren Frauen, die in den Nähstuben sitzen, noch an den jüngeren Frauen, die auf dem Dorfplatz Volleyball spielen, nicht an den Kindern, die Fahrradfahren üben, und schon gar nicht an den Wasserbüffeln, die an den Dorftümpeln dösen oder in den Dorftümpeln dümpeln. Die Hauptstraßen der Dörfer sind von Souvenirständen flankiert, an denen handgefertigte Beutel, Bambuswindspiele und Hippiehosen ebenso erhältlich sind wie blinkendes Plastikspielzeug und Reisschnaps, in dem Schlangenkadaver schwimmen.
Durch Riesenpfützen und Matschkuhlen kehren wir zurück zur Mai Chau Ecolodge. Die Reisbauern, die gerade Feierabend machen, kommentieren unsere Zerzaustheit mit einem Lächeln. Zurück im Bungalow begrüßen wir die Außendusche: Wir stellen uns in voller Montur darunter. Der Fotoapparat hat die Exkursion überlebt – und mit ihm diese Bilder.



Fotos: pa
Mai Chau Ecolodge: http://maichau.ecolodge.asia/
Oh, wie schön! Jetzt wieder ein interessanter Artikel. Mit wie immer guten Bildern!
Ein paar Fragen:
Woher stammt das Reissaatgut?
Sind politische Gespräche zur ideologisch gespaltenen Vergangenheit des Landes möglich oder führt dies zu Schwierigkeiten?
Wie steht es mit politischen Konflikten, die sich aus der Rolle Vietnams im Kalten Krieg ergibt? Was ist mit den ehemaligen Südvietnamesen? Viele Protagonisten aus dem damaligen ideologischen Stellvertreterkrieg müssten noch leben.
Dienen die Stelzenhäuser dem Wasser- oder dem Schlangenschutz? (Im „traditionellen Architekturbereich“ sind sie auch im nördlicheren Australien sowie im Green Outback noch recht verbreitet).
Spielt der Buddhismus eine Rolle bzw. ist es ihm (ideologisch) erlaubt, eine Rolle zu spielen?
Mag albern klingen, aber bei dem Dorftümpelbild denke ich seltsamerweise an Schlangen, Krokodile und Bilharziose. Einige Worte zur faktischen Tierwelt?
Schön finde ich, dass es noch einige Regionen auf der Welt gibt, wo Frauen nicht in Burka Volleyball spielen.
Mich würden politische Zusammenhänge, Konstellationen interessieren. Der Tourismus hat ja doch einen gewissen Blasencharakter und bildet häufig eine Art abgeschottetes Paralleluniversum.
Nochmals: Dies ist kein Blog, der weitreichende Sozial- oder Politreportagen liefern kann, sondern lediglich Schlaglichter. Die Voraussetzungen, unter denen die hier veröffentlichten Beiträge entstehen, habe ich mehrmals dargelegt.